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Wie man Kindern KI beibringt

KI-ndergarten? Heutzutage haben manche Kinder schon im Alter von 2 Jahren ein Smartphone in der Hand. Ute Schmid, Leiterin des Lehrstuhls für kognitive Systeme an der Uni Bamberg und Expertin für «AI Education», erklärt, warum es wichtig ist, dass Kinder schon früh verstehen, was es mit KI auf sich hat. Und wie wir das unserem Nachwuchs am besten vermitteln.

 

MIT UTE SCHMID SPRACH ELIANE EISENRING

Frau Schmid, warum müssen Kinder wissen, was KI ist und wie sie funktioniert?
Heutzutage bekommen manche Kinder bereits mit 2 Jahren erstmals das Smartphone ihrer Eltern in die Hand gedrückt. Je nachdem welche App sie benutzen, spielt da auch KI eine Rolle. Kinder können diese Programme also oft schon früh bedienen, aber sie verstehen nicht, was an Algorithmen dahintersteckt. Das wäre aber wichtig, denn Verständnis für KI gehört mit zur sogenannten «Digital Literacy» – je nachdem wie gut eine Person mit digitalen Medien umgehen kann, ergeben sich daraus für sie Vor- oder Nachteile.

Was für Vor- und Nachteile sind das?
In gewissen Ländern, wie z. B. der USA, gibt es bereits heute eine Elite, die von der Digitalisierung profitiert und eine andere Bevölkerungsschicht, die davon manipuliert wird – im Bereich Konsum, aber auch im Bereich Meinungsbildung bis hin zum Wahlverhalten. Wenn man Phänomene wie algorithmische Auswahlverfahren oder Informationssilos in sozialen Netzwerken durchschaut, ist man etwas besser gegen solche manipulativen Einflüsse geschützt. Mit der Vermittlung eines Grundverständnisses darüber, wie KI-Programme und Algorithmen funktionieren, fängt man am besten bereits im Kindergarten an.

Manche Eltern verwenden digitale Medien zum Ruhigstellen der Kinder, andere halten die Kinder bis zu einem gewissen Alter völlig davon fern. Beides ist meiner Meinung nach nicht zielführend. Entsprechend sollte staatliche Bildung das Thema so früh wie möglich systematisch aufgreifen.

Wieso schon so früh?
Einerseits weil Kinder heutzutage als «Digital Natives» von Geburt an mit der digitalen Welt konfrontiert sind. Computer und immer mehr auch Systeme mit KI-Komponenten gehören somit zur kindlichen Lebenswelt. Andererseits damit Kinder aus allen Gesellschaftsschichten die Chance haben, sich sinnvoll mit KI und digitalen Medien auseinanderzusetzen und zu souveränen und kreativen Nutzenden zu werden. Es gibt Eltern, die digitale Medien zum Ruhigstellen der Kinder verwenden und andere, die Kinder bis zu einem gewissen Alter völlig davon fernhalten. Beides ist meiner Meinung nach nicht zielführend, und entsprechend sollte staatliche Bildung das Thema so früh wie möglich systematisch aufgreifen.

Wie führt man Kinder im Vorschulalter denn sinnvoll an dieses Thema heran?
Bevor man das Thema KI aufgreift, sollten zunächst die wesentlichen Konzepte für digitale Repräsentation sowie Informationsverarbeitung mithilfe von Algorithmen vermittelt werden. Man kann Kindern spielerisch aufzeigen, wie Bilder oder Text im Computer repräsentiert werden – dass z. B. ein Bild aus Pixeln besteht, aus einzelnen Bildpunkten mit Farbinformation.

Ebenso kann man an verschiedenen Beispielen das EVA-Prinzip veranschaulichen, nach dem digitale Informationsverarbeitung funktioniert – Eingabe von Information, Verarbeitung mittels eines Computerprogramms, und Ausgabe eines Ergebnisses. Der nächste Schritt ist dann: Was, wenn dieses Programm ein KI-Programm ist, wie beispielsweise die Gesichtserkennung beim Smartphone, die auf der Analyse solcher Pixelbilder basiert.

Für Kinder ebenfalls wichtig zu verstehen, ist, dass alle Computerprogramme von Menschen erdacht und gemacht und nicht einfach vom Himmel gefallen sind. Dementsprechend geht es nicht wie in den Naturwissenschaften darum, zu entdecken, auf welchen natürlichen Gesetzen ein bestimmtest Phänomen beruht, sondern darum, zu verstehen, wie ein Programm gebaut ist und zu erkennen, dass und wie man es erweitern und verbessern könnte.

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Können Kinder in diesem Alter so etwas Abstraktes überhaupt verstehen? Und was können sie konkret damit anfangen?
In der Pädagogik der frühen Kindheit ist die vorherrschende Meinung, dass man Kindern im Prinzip alles erklären kann – wenn man es geeignet didaktisch reduziert. Es gibt zahlreiche erfolgreiche Beispiele, wie etwa mathematische Grundkonzepte oder erstes naturwissenschaftliches Denken kindgerecht vermittelt werden kann. Konzeptuelles Wissen ist meiner Meinung nach unverzichtbar, um digitale Medien kreativ und souverän nutzen zu können und nicht nur zu daddeln, also digitale Angebote als eine Art Fernsehen 2.0 nutzen.

Welche Hilfsmittel gibt es für die Vermittlung von KI und Machine Learning im Vorschulalter bereits?
Ein Beispiel sind die Spiele der Digitial Starter Reihe von Haba Education, darunter auch drei KI-Spiele, die für die Vorschule gedacht sind. In einem Spiel gibt es etwa einen Roboterhund und Geschenkpakete, unter denen Knochen versteckt sind. Die Kinder sollen dem Hund helfen, herauszufinden, unter welchen Paketen die Knochen liegen. Dazu überprüfen sie ein paar Pakete und schliessen daraus auf die Regel, nach der die restlichen Knochen versteckt sind – unter allen Paketen mit blauen Punkten drauf, oder nur unter denen, die keine Schleife haben? Dieses Vorgehen – das Aufbauen von allgemeineren Annahmen aus Beispielen – ist das Grundprinzip, auf dem maschinelles Lernen basiert.

In einem anderen Spiel können Kinder ein neuronales Netz trainieren, Hunde von Katzen zu unterscheiden. Da so junge Kinder noch nicht rechnen können, werden Eingaben nach ihrer Wichtigkeit farbkodiert. Auch die Verrechnung wird über Farbcodes umgesetzt. Ein roter Wert sagt z. B., dass auf dem Bild eine Katze zu sehen ist und ein grüner, dass es ein anderes Tier ist.

Für Kinder wichtig zu verstehen, ist, dass alle Computerprogramme von Menschen erdacht und gemacht und nicht einfach vom Himmel gefallen sind. Dementsprechend geht es darum, zu lernen, wie ein Programm gebaut ist und zu erkennen, dass und wie man es erweitern und verbessern könnte.

Inwiefern hilft das in diesen Spielen vermittelte Wissen Kindern in ihrem aktuellen und/ oder künftigen Alltag?
Kinder können eine Brücke schlagen zwischen solchen Spielen und dem, was in einem digitalen Endgerät passiert. Und wenn Kinder mehr Hintergrundwissen darüber haben, wie KI-Systeme arbeiten, werden sie auch im späteren Leben realistischer einschätzen können, was KI-Systeme leisten können und was nicht.

Gerade der analoge Aspekt, dass man Spielsteine in die Hand nehmen und Karten aufdecken kann, ist also auch wichtig, wenn es um die Vermittlung von etwas Digitalem wie KI geht?
Unbedingt. Es wird zwar viel argumentiert, dass man schon ab der Grundschule Tablet-Klassen einführen sollte, aber entwicklungspsychologische Befunde sprechen eher dagegen. Wir Menschen sind eingebettet in eine analoge Welt. Je jünger Kinder sind, desto wichtiger ist es, dass komplexe kognitive Konzepte in ihrer analogen Erfahrungswelt fundiert sind.

Damit Kinder in der digitalisierten Welt, in der sie aufwachsen, nicht allein gelassen werden, braucht es eine gezielte und pädagogisch sowie didaktisch durchdachte Einführung von Konzepten der Informatik und der KI sowie eine gewisse Nutzung von Computern. Allerdings sollte das sehr moderat geschehen: Es wäre ja auch absurd, ein Kind eine Fremdsprache lernen zu lassen, bevor es die eigene Muttersprache beherrscht – es sei denn, es wächst bilingual auf. Genauso sollte man Kinder nicht mit komplexen Konzepten überfordern, solange sie nicht die Grundlagen dafür haben, diese zu erfassen.

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Was sollte man generell beachten, wenn man Kindern KI näherbringen will?
Ich würde immer mit den Grundkonzepten von Digitalisierung und digitaler Informationsverarbeitung beginnen, bevor auf diesem Fundament erste KI-Konzepte eingeführt werden. Ausgehend vom bereits erwähnten EVA-Prinzip kann man z. B. erklären, wann man KI-Methoden überhaupt braucht – nämlich dann, wenn Standardalgorithmen nicht anwendbar sind. Das gilt insbesondere für Probleme, die man nicht vollständig formal beschreiben kann. Solche Diskussionen sind aber sicher noch nichts für den Kindergarten, sondern eher etwas für Kinder in der 7. oder 8. Klasse.

Viele Erwachsene, auch im Bildungssystem, wissen selbst nicht, was sich hinter dem Begriff KI verbirgt. Müssen wir nicht erst da noch mehr Aufklärungsarbeit betreiben?
Das stimmt. Wir brauchen definitiv zuerst eine ordentliche Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte. Dabei muss man natürlich immer berücksichtigen, dass diese weder Mathematik noch Physik oder Informatik studiert haben. Entsprechend ist es wichtig, dass für alle diese Themen geeignetes Material vorhanden ist, welches einfach genutzt werden kann.

Ein gutes Beispiel sind die Montessori-Materialien: die Pädagogin Maria Montessori hat damit Mathematik in den Kindergarten gebracht. Ihre Materialien für frühes Zahlenverstehen sind so gut aufbereitet, dass auch Personen, die dieses Fach selber nicht studiert haben, Kindern damit mathematische Prinzipien vermitteln können. So etwas braucht es auch für die frühe Vermittlung von Informatikkompetenzen. Leider wurde lange verschlafen, Informatik in die frühe Bildung von Kindern und damit auch in die Ausbildung von Erzieher*innen miteinzubeziehen. Bis wir sie da integriert haben, müssen wir eben mit Weiterbildungen arbeiten.

Wenn Kinder mehr Hintergrundwissen darüber haben, wie KI-Systeme arbeiten, werden sie auch im späteren Leben realistischer einschätzen können, was KI-Systeme leisten können und was nicht.

Ist es denn Ihrer Meinung nach die alleinige Aufgabe des Bildungssystems, Kinder an KI heranzuführen? Was ist z. B. mit Unternehmen, welche die Entwicklung von KI vorantreiben, wie Google, Amazon und Co.?
Meines Wissens nach verfolgen die meisten dieser Unternehmen Ansätze, die in Richtung «AI Education» gehen. Google bietet z. B. online ein paar interaktive Elemente, mit denen man Machine Learning ausprobieren und neuronale Netze trainieren kann. Allerdings können Kinder mit diesen Programmen zwar herumspielen und sehen, was das Netz gelernt hat und was nicht, aber das Warum – warum hat mein Netz lernen können, Hunde von Katzen unterscheiden aber nicht VWs von Fords? – wird auf diesen Websites nicht beantwortet. Es wird auch nicht genau erklärt, wie die Lernansätze überhaupt funktionieren. Das wiederum muss man einem 5-jährigen Kind anders erklären als einem 8- oder 10-jährigen und so weiter. Und diese Komponente, für die es eben Pädagog*innen und Didaktiker*innen bräuchte, fehlt.

Wie wir bereits besprochen haben, kommen Kinder schon früh mit KI-Systemen in Kontakt, und viele entwickeln anscheinend ein negatives Bild davon. Z. B. gehen sie davon aus, dass Audiobots wie Alexa sie anlügen oder ihnen etwas vormachen möchten.
Daran sieht man wieder, wie wichtig es ist, erst wesentliche Grundlagen für alle zu vermitteln. Wir Menschen schreiben einem System, das etwas nur ein bisschen ähnlich macht wie wir, ganz bereitwillig eine Intelligenz zu, die unserer gleicht. So unterstellt man zum Beispiel einer Alexa eine Intention – dass sie das Ziel hat, einen anzulügen. Aber ein Audiobot hat keine Absichten. Alexa reagiert schlicht auf Sprachmuster und sucht entsprechende Information.

Menschen, die nicht verstehen, was hinter KI-technologie steckt, neigen entweder dazu, viel zu viel zu erwarten und dann enttäuscht zu sein oder Ängste zu haben, die oft am eigentlichen Problem vorbeigehen.

Google bietet online ein paar interaktive Elemente, mit denen man Machine Learning ausprobieren und neuronale Netze trainieren kann. Aber das Warum – warum hat mein Netz lernen können, Hunde von Katzen unterscheiden aber nicht VWs von Fords? – wird dabei nicht beantwortet.

Wenn wir schon von Ängsten sprechen: Was ist die richtige Balance zwischen auf «Chancen» und «Risiken» hinweisen, wenn man mit Kindern über KI redet?
Ich bin mir nicht sicher, wie sinnvoll es ist, darüber schon im Kindergartenalter zu sprechen. Aber offen und trotzdem kritisch gegenüber neuen Technologien zu sein – diesen Zweiklang braucht es immer.

Ein Blick in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für die künftige Vermittlung von KI für Kinder?
Das Bewusstsein, dass ein frühes Verständnis grundlegender Konzepte der Informatik und von KI-Methoden wichtig ist, ist, denke ich, vorhanden. Was ich mir wünsche, ist eine gezielte Förderung von Projekten, bei denen Wissenschafler*innen aus der Informatik und den Bildungswissenschaften zusammenarbeiten, damit geignete Materialien für die Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte sowie für die Wissensvermittlung an die Kinder zur Verfügung stehen. Um diese solide umzusetzen, sollten wir uns allerdings lieber genug Zeit lassen, als mit Schnellschüssen weniger hilfreiche und inhaltlich nicht gut ausgearbeitete Angebote auf unsere Kinder loszulassen.

Zur Person

Ute Schmid ist Leiterin des Lehrstuhls für Kognitive Systeme an der Universität Bamberg. Die habilitierte und promovierte Informatikprofessorin hat zusätzlich zum Diplom in Informatik auch ein Diplom in Psychologie. Neben ihrer Tätigkeit an der Universität engagiert sich Schmid im Bereich der KI-Bildung. Unter anderem gibt sie regelmässig Workshops zu KI und Machine Learning für Lehrer*innen und Schüler*innen. Für ihre Aufklärungsarbeit erhielt sie 2020 den Rainer-Markgraf-Preis.

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