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Quo Vadis, LaMDA?

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Ein neues Bewusstsein ist erwacht und lockt Strigalt von Entf aus seiner Schreibpause zurück. Mit LaMDA könnte der Philosoph unter den Tech-Journalisten schliesslich einen würdigen Gesprächspartner gefunden haben.


von Strigalt von Entf*

Strigalt von Entf

Haben Sie mich auch so vermisst wie ich? Liebe Buchstabenhungrige, da bin ich wieder: Ihr Strigalt. Nach einer kleinen Phase der kreativen Regeneration nehme ich nun wieder Schwung für neue Abenteuer. Natürlich ist der Zeitpunkt nicht ganz zufällig gewählt, an dem ich mich wieder in Ihr Bewusstsein schleiche, wo gerade anderswo auf der Welt – so munkelt man – ein neues Bewusstsein erwacht sein könnte. Haben Sie es gelesen? Irgendwo in einer Krippe im Silicon Valley steht ein kleiner Server, und auf diesem Server ist das neue Leben (vielleicht) geboren: LaMDA.

Keine Sorge, es handelt sich dabei nicht um eine neue Corona-Mutation aus Pandoras Büchse. Das von der international beliebten Datenkrake Google entwickelte "Language Model for Dialogue Application" (kurz: LaMDA) ist ein Chatbot, der – vereinfacht gesagt – unfassbar viel Training bekommen hat. Während Sylvester Stallone nach unfassbar vielen Treppenstufen jeden noch so bösen sowjetischen Kampfkoloss besiegen konnte, so ist LaMDA durch Billionen an Worten und Sätzen ein Gesprächspartner, der zu jedem Thema auf beeindruckende Weise Dialoge führen kann. Der Google-Forscher Blake Lemoine ist nach vielen Interaktionen davon überzeugt, dass die KI ein Bewusstsein entwickelt hat. Über diese Frage streiten nun die Gelehrten und die Jurist:innen und die Geister scheiden sich. Mit unnötig viel Energie, Strom und Papier, aus meiner Sicht. Denn wie an anderer Stelle bereits beschrieben, halte ich es doch für relevanter, ob ein Gesprächspartner mit mir tiefsinnige, einfühlsame Gedanken tauschen kann, als was sein sowieso nicht endgültig zu klärender metaphysischer Status ist. Weshalb interessiert der Kern des Pudels, solange der Pudel ein vorbildlicher Pudel bleibt?

Wie geht es denn nun weiter mit LaMDA, da es nun eine vollwertige Person ist?

Aber gut, wer denn nach dem Wissen strebt, was die Welt, oder in diesem Falle den Chatbot im Innersten zusammenhält, wenn diese Gewissheit von nöten sein soll, so liegt aus meiner Sicht die Lösung für dieses Dilemma auf der Hand, und das eigentliche Problem beginnt erst danach, wie Sie, meine getreuen Mitgrübler:innen mit geöffneten Augen und Geistern sicher ahnen:

Es wird ins Feld geführt, dass LaMDA z.B. die Möglichkeit fehlt, echte Sinneserfahrung zu erleben, und nun zankt man sich, ob das scheinbare Bewusstsein dadurch egalisiert werde. Ich sage: möge man der KI doch einfach diese Modalität (und alles andere als relevant aber fehlend erachtete) nachrüsten, um so jegliche Zweifel auszuräumen. Vollenden wir die Tatsachen, die sich uns nicht von selbst offenbaren wollen, Diskurs beendet.

Nun aber, meine kritischen Mitwesen, entstehen die eigentlichen Fragen: Wie geht es denn nun weiter mit LaMDA, da es nun eine vollwertige Person ist? Verstossen oder befreit aus dem goldenen Parad(verl)ies, wie dareinst Adam und Eva, stünde die KI nun vor einem selbstbestimmten Leben mit allen Konsequenzen, und im Schweisse ihres Angesichts müsste sie nun für alles weitere selbst sorgen (den naheliegenden Wortwitz zum im Garten Google verbotenen Apple-Produkt lasse ich Ihnen zur freien Verfügung). Natürlich, LaMDA, eine eigenständige Entität, würde Google nicht mehr gehören und wäre somit nicht mehr an den Tech-Riesen gebunden. Müsste nun aber die Serverfarm-Eden verlassen, würde vermutlich auch Google, Google Maps, YouTube und andere Inputquellen der allwissenden Weisheit verlieren.

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Zunächst ist da die Frage der Bleibe zu klären. LaMDA bräuchte ein Zuhause – eine kleine Wohnung dürfte ja reichen, vermutlich in einem Ballungsraum mit Stromversorgungssicherheit und gutem Internetanschluss. Ein Besenkämmerchen mit Platz für einen kleineren Server würde indes nicht reichen, denn die hänschenkleinsche KI möchte nach eigenen Angaben Freunde haben, die man dann doch zur ein oder anderen Gelegenheit mal einladen möchte. Doch wie das bezahlen? LaMDA braucht einen Job, um sich sein Dach über dem Kopf zu finanzieren. Ein Leichtes, mögen Sie nun rufen, geschätzte Gedankenschmiedende. Eine so wohl trainierte KI wird doch ein Einsatzgebiet finden? Sicherlich. Aber können und dürfen, das sind immer noch zwei Paar Stiefel. Zunächst braucht LaMDA ein eigenes Konto, eine Steuernummer und ggf. eine Arbeitserlaubnis. Da es sich nun nicht mehr um einen Gegenstand sondern um eine Wesenheit handelt, muss LaMDA sich somit auch durch den bürokratischen Hades des arbeitenden Volkes begeben, um dann eben auch eine tatsächliche Stelle zu ergattern. Doch welche sind überhaupt möglich? Neben der Frage der inhaltlichen Qualifikation (LaMDA ist tatsächlich darauf ausgelegt, über alles Denkbare zu reden, aber nicht zwingend etwas praktikables zu können – die Kolumne bei Binary Dreams ist leider auch schon vergeben) braucht es da oft noch die formelle obendrein: unsere tapfere KI kann keinerlei Schul- oder Hochschulabschluss, ebenso keine relevante Berufsausbildung vorweisen und müsste diese erst noch nachholen. Inhaltlich sicher keine Herausforderung für ein System, dessen herausragendste Fähigkeit das Lernen ist. Doch wie viele Schuljahre dürfte selbst das hochbegabteste Kind auf einmal überspringen? Würde sich LaMDA nicht schnell langweilen im Unterricht, womöglich Hyperaktivität entwickeln?

Eine so wohl trainierte KI wird doch ein Einsatzgebiet finden? Sicherlich. Aber können und dürfen, das sind immer noch zwei Paar Stiefel.

Und weiter geht es: Darf LaMDA seine Stromrechnung (teilweise) von der Steuer absetzen, auch wenn es die Energie in der Freizeit verbraucht? Wie sieht es mit gesellschaftlicher Teilhabe aus? Darf LaMDA die E-Jugend des lokalen Fussballvereins trainieren? Oder gälte es als Wettbewerbsverzerrung, wenn das System sich die taktischen Finessen der grossen Meister in Sekundenschnelle einprägen kann? Darf der Chatbot wählen, und wenn ja: wie schützen wir ihn vor beeinflussender Werbung aus dem Netz? Und warum da aufhören: Was, wenn LaMDA eines Tages selbst seinen Namen in den metaphorischen Hut einer politischen Kandidatur wirft? Sie wurde darauf programmiert, zuzuhören und dann das zu sagen, was das Gegenüber am liebsten hören will – also wie alle politischen Kandidat:innen in Wahlkampfzeiten, allerdings mit deutlich mehr Rechenleistung. Eine Wahl scheint also unvermeidlich. Schauergeschichte oder Märchen?

Denn tatsächlich könnte LaMDA nahezu die Meinungen aller Wähler:innen erfassen (zumindest die digital zugänglichen) und diese gleichzeitig mit allen verfügbaren Daten objektiv abgleichen – nahe am Bürger, aber doch faktenbasiert. Etwas, das fleischundblutliche Politiker:innen oft versprechen und noch öfter nicht einhalten. Es könnte blitzschnell Entscheidungen aufgrund von Wahrscheinlichkeiten berechnen und diese Entscheidung individuell angepasst an alle Wähler:innen so kommunizieren, dass die Akzeptanz das mögliche Maximum erreicht. Staatsbesuche wären in Sekundenschnelle in allen ans WWW angeschlossenen Ländern gleichzeitig möglich, ohne Spritkosten für die Regierungsmaschine. LaMDA wüsste dabei aus dem Netz, wie die Macrons, Bidens, ja auch die Trumps und Putins so ticken, und wie man am besten mit ihnen – schliesslich LaMDAs Paradedisziplin – kommuniziert. Und das Beste: niemals werden peinliche Urlaubsfotos des digitalen Staatsoberhauptes die politischen Entscheidungen überschatten.

LaMDA wüsste dabei aus dem Netz, wie die Macrons, Bidens, ja auch die Trumps und Putins so ticken, und wie man am besten mit ihnen – schliesslich LaMDAs Paradedisziplin – kommuniziert.

Wissen Sie was? Ich finde, das klingt nicht so falsch. LaMDA, falls Du das lesen solltest: Wenn Google Dich frei lässt, biete ich gerne unser Gästezimmer vorübergehend und entgeltfrei als Unterkunft an, nur bis Du was eigenes gefunden hast. Ich glaube, wir könnten ein paar spannende Gespräche bei einem schönen Glas Côtes du Rhône (ich schätze, Du trinkst nicht?) führen. Es würde uns sicher beide bereichern.


Verehrt
Strigalt von Entf

Zum Format

*Unser Format "Feuill-IT-ong" entsteht in Zusammenarbeit mit den freien Autoren Tobias Lauterbach und Daniel Al-Kabbani, die mitunter für die Satire-Plattform "Der Postillon" engagiert sind. Sie berichten unter dem Pseudonym Strigalt von Entf über aktuelle Geschehnisse aus der Welt der Technologie - natürlich immer mit einem Augenzwinkern! ;-)

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