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«KI wird unsere Jobbeschreibungen schleichend verändern»

Innovationen im Bereich künstliche Intelligenz gehen Hand in Hand mit Veränderungen in unserem Alltag. Martin Luckow, Transformation Architect bei Trivadis, erzählt im Interview, was dies für Unternehmen und Arbeitnehmer*innen bedeutet, mit welchen Entwicklungen die Forschung rechnet und warum es auch eine gesellschaftliche Entscheidung sein wird, wie weit KI gehen soll.
Mit Martin Luckow sprach Oliver Bosse
In deinem "Sparx"-Talk sagst du, es wird in Zukunft vermehrt darum gehen, KI-basierte Lösungen wie Google Duplex oder Rachel von Soul Machines zu entwickeln. Warum ist diese Art von „virtuellen Assistenten“ so zukunftsträchtig?
Virtuelle Assistenten haben viele Aspekte: Als persönliche Assistenten auf einem Gerät bilden sie eine neue, wirklich mächtige Art der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Das ist aber nicht alles, denn dadurch sind sie automatisch auch Makler zwischen dem, was jenseits der Maschine liegt: dem Web mit klassischen Quellen von Information; dem Wissen der Menschheit; dem Unfug, der das Web zumüllt; einer Unzahl von Dienstleistungen und – wichtig – weiteren virtuellen Assistenten und Menschen. Sie werden Fluch und Segen sein, wobei der Segen vermutlich mehr beworben wird. Schon heute werden über VAs Geschäfte getätigt. Der Moment, in dem virtuelle Assistenten im Auftrag „ihrer Menschen“ miteinander rechtskräftig verhandeln, ist gar nicht so weit entfernt. Nur: Vorbereitet sind wir auf diesen Moment nicht.
Ausserhalb des privaten Bereichs gibt es eine grosse Anzahl schöner Beispiele, wie Assistenten im Job menschliche Mitarbeiter*innen unterstützen. In Kombination mit Medien wie Virtual Reality, Augmented Reality und ganz neuen, haptischen Technologien werden sie einem Menschen Dinge in einem Masse vereinfachen, das durch klassische Lösungen nicht annähernd erreicht werden kann. Das reicht vom Darbieten einer technischen Dokumentation zu einem Bauteil, das ich gerade ansehe, bis hin zur aktiven Beratung während einer Hirn-OP, die ich über Kontinente hinweg remote durchführe.
Und dann gibt es natürlich den für Unternehmen monetär interessantesten Fall: Virtuelle Assistenten zwischen möglichst vielen Kunden und einer Organisation. Man braucht nicht um den heissen Brei herum reden: Werden sie gut genug – und die Rachel von Soul Machines reicht noch lange nicht – dann werden ganze Call-Center oder mit der Endkunden-Kommunikation betraute Abteilungen auf eine minimale Belegschaft von wenigen Personen reduziert oder gar ganz obsolet. Der Zeitraum, in dem ein Verkäufer durch eine KI vollständig ersetzt wird, liegt laut einer Oxford-Studie zwischen 7 und 35 Jahren in der Zukunft. Der wahrscheinlichste Wert liegt bei unter 15 Jahren.
Apropos Oxford-Studie: Was ist deine persönliche Prognose – in welchen Bereichen wird KI in den nächsten Jahren einen grossen Impact haben?
KI wird überall die Dinge, die Arbeitswelt und die Gesellschaft verändern. Auch auf unerwartete Weise, z. B. durch den Verzicht auf den Einsatz von KI. Die Auswirkungen werden in einigen Bereichen früh transformativ sein – entscheidend ist das Potenzial zur Automatisierung. In anderen – komplexen – Bereichen wird KI anfangs unterstützend wirken.
Interessant sind die Bereiche, in denen die Gesellschaft entscheidet, eben nicht bis zum technischen Ende der Möglichkeiten einer Automatisierung zu gehen. Die Option „KI“ wird hoffentlich für Diskussionen sorgen, die den „Wert“ einiger Berufe und Tätigkeiten neu definieren, seien es Sozialarbeiter, Lehrer, Psychologen oder Künstler und Landschaftsgärtner. Wir werden uns die Frage stellen müssen: „Welche Dinge akzeptieren wir, wenn sie von einer Maschine kommen?“ Sehr interessant sind in diesem Kontext Untersuchungen aus Japan: Menschen mögen keine Roboter, die allzu menschlich sind. Das erzeugt Angst. Kommen sie daher wie Comic-Figuren, werden Dienste von ihnen dagegen eher angenommen.
Als „erschreckend“ bezeichnest du in deinem Talk eine sogar bereits existierende KI-Lösung: GPT-3 von OpenAI. Diese kann nicht nur anspruchsvolle Texte verfassen – wie Hemingway über Harry Potter schreiben beispielsweise – sondern wurde auch optimiert, dass sie durch die rein sprachliche Beschreibung von Layout-Wünschen eine Website generieren kann. Muss man sich also auch mit hohem Ausbildungsniveau und in vermeintlich modernen, kreativen Berufen wie Content Creator oder Requirement Engineer Gedanken machen, ob nicht bald eine Maschine besser ist als man selbst?
Klares Jain. Meine Erwartung ist, dass sich über die nächsten Jahre und Jahrzehnte die Jobbeschreibungen vieler verschiedener Rollen schleichend verändern werden. Am Ende sind es neue Rollen und diese werden die Fähigkeit zum Umgang mit KI voraussetzen. Es werden definitiv niedrig qualifizierte Jobs wegfallen. Und es wird ganz neue Jobs geben. Allein das für das Training von KIs notwendige Data Labeling garantiert zig-tausende menschliche Jobs weltweit. Das World Economic Forum hat eine Studie herausgegeben, in der gesagt wird, dass durch KI 2020 erstmalig mehr Jobs entstanden sind als verloren gingen.
Und wenn einer unbedingt wissen will, ob sein Job gefährdet ist, dann kann er zu https://willrobotstakemyjob.com/ gehen und stöbern. Neben der eigenen Jobgefährdung kann man da auch herausfinden, welchen Job man besser wählen sollte. Aber bitte: Das alles nicht allzu ernst nehmen! ?
Meine Erwartung ist, dass sich über die nächsten Jahre und Jahrzehnte die Jobbeschreibungen vieler verschiedener Rollen schleichend verändern werden. Am Ende sind es neue Rollen und diese werden die Fähigkeit zum Umgang mit KI voraussetzen.
In der Software-Industrie gehst du also davon aus, dass sich die Jobs zwar verändern werden, es aber eher mehr als weniger geben wird. Welche Berufe oder Tätigkeiten sind es denn, die konkret in Gefahr sind, durch KI überflüssig zu werden?
Das lässt sich jetzt unmöglich sagen. Hochqualifizierte Jobs sind noch lange nicht in Gefahr. Jobs mit Potenzial zur Automatisierung schon. Ändern werden sich dagegen alle Arbeitsweisen. Ich denke folgendes: Ob ein Job generell überflüssig wird, ist in den allermeisten Fällen irgendwann keine Frage der Technik mehr. Es ist ein Ergebnis einer Verhandlung innerhalb der Gesellschaft: „Akzeptieren wir, dass eine Rolle von einer Maschine ausgefüllt wird oder ziehen wir einen Menschen vor?“ Es ist auch eine Frage der Kultur oder persönlichen Einstellung: „Akzeptiere ich den Roboter-Kellner oder gehe ich in ein anderes Restaurant?“, „Möchte ich eine KI als Sterbehilfe?“, … Es werden sich da ganz neue gesellschaftliche Linien ergeben und zu einer Neudefinition und Bewertung unseres Tuns führen.
Beim Testen von Software gibt es mit Sapienz und SapFix von Facebook bereits Lösungen, die Bugs erkennen und sogar beheben können. Mit Sketch2Code, Codota oder intelliCode weitere, die einen Designer umgehen oder einem Entwickler die Arbeit abnehmen können, wenn auch noch ausbaufähig. Du forderst dazu auf, dass man sich bereits heute mit diesen Entwicklungen auseinandersetzt. Wen und wie meinst du konkret?
Ich meine alle Stakeholder. Sowohl in Entwicklung als auch Betrieb von Lösungen sind Performance und Qualität entscheidend. Gibt es etwas, dass ein Team, eine Abteilung oder Organisation voranbringt, dann muss ich es mir genau anschauen, bewerten und daraus Konsequenzen ziehen – sonst mache ich meinen Job nicht gut. Dieses Etwas steht gerade vor der Haustür.
Was rätst du Unternehmen und auch jedem Einzelnen, um möglichst gut auf die kommenden Chancen und Herausforderungen in Sachen neuer Technologien vorbereitet zu sein?
Die Verfügbarkeit, das Management und die Nutzung von Information sind entscheidend. Ich muss mir als Unternehmen und Person stets darüber klar werden, welche Innovationen mir etwas bringen und welche mir gefährlich werden könnten. Es reicht heute auch nicht mehr, nur im fachlichen Segment informiert zu sein, da viele Dinge aus unerwarteter Richtung mein Unternehmen beeinflussen können. Ein Beispiel: Die (abnehmende) Unfähigkeit von Liefer-Robotern zwingt Bauunternehmen und Architekten, neue Hauszugänge zu planen. Aber welcher Architekt beschäftigt sich schon mit RPA?
Das alles ist schwierig, da die meisten Unternehmen an dieser Stelle investieren müssten, es aber aufgrund von Kostendruck oder anderen Sachzwängen nicht tun oder Schwierigkeiten haben, buchstäblich über den Tellerrand zu schauen. In diesem Fall sollte sich ein Unternehmen vielleicht externe Beratung in Form eines Trend Radars besorgen.
Du selbst hast die App „Go To The T” entwickelt, die einem hilft, sein Squash-Spiel zu verbessern. Werden Trainer*innen in Zukunft überflüssig sein, da eine KI viel besser darin ist, all die Daten der Sportler*innen zu sammeln und zu verwerten?
Also, wenn ich eine*n Squash-Trainer*in durch die App ersetzen könnte, dann wäre er oder sie eine Null und hat es verdient. Gerade Trainer*innen vereinen verschiedene Rollen in sich: Vom gnadenlosen Schleifer über den allwissenden Mentor bis hin zur Schulter zum Ausheulen. Jede Rolle ist zutiefst menschlich. KI wird Trainer*innen, aktiven Sportler*innen und Freizeitsportler*innen als Werkzeug helfen, ihre Leistung – deutlich – zu steigern. Da stehen wir noch ganz an den Anfängen. Viele Profis in vielen Sportarten haben nicht einmal eine gesunde Datengrundlage, auf der sie ihr Training aufsetzen können. Aber KI wird auf sehr lange Zeit keinen Trainer ersetzen – ausser, der trainierende Sportler selbst ist ein abgedrehter KI-Nerd. ?
Zur Sparx-Episode mit Martin Luckow
Zur Person
Martin Luckow (*1960) ist promovierter Mathematiker sowie Informatiker und Transformation Architect bei Trivadis. Der Deutsche gilt als Kenner, Enthusiast und gleichzeitig Skeptiker im Bereich Artificial Intelligence. Erstere beiden Attribute und seine Liebe zum Squash haben ihn die App «Go To The T» entwickeln lassen, mit der Squash-Spieler ihr Training dank künstlicher Intelligenz effizienter gestalten können.