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KI verscheucht Wölfe

Mit der Wiederansiedelung des Wolfs in Deutschland häufen sich auch Wolfsrisse. Anna Förster und ihr Team von der Uni Bremen entwickeln einen KI-gestützten Weidezaun, der Wölfe erkennen und individuell verjagen soll. Ein Gespräch über Vergrämungs-Massnahmen und wie sich neben Wölfen auch Elefanten vertreiben lassen.
MIT ANNA FÖRSTER SPRACH ELIANE EISENRING
Frau Förster, wie ist die derzeitige Lage in Deutschland in Bezug auf Wölfe und Weidetiere?
Im Monitoringjahr 2021/2022 hat das Bundesministerium für Umwelt in Deutschland insgesamt 161 Wolfsrudel, 43 Wolfspaare und 21 territoriale Einzelwölfe registriert – 2020/21 waren es noch 157 Rudel, 27 Paare und 19 Einzeltiere. Gerade bei uns im Norden leben einige Wölfe, und man hört auch regelmässig von Wolfsrissen. Letztes Jahr gab es mehrere grosse Vorfälle, in denen in einer Nacht jeweils um die 30 Schafe gerissen wurden.
Dies hat bekanntlich zur Bildung von zwei Lagern geführt: Das eine sagt, man solle auffällige Wölfe sofort erschiessen, das andere verlangt, dass man sie in keinster Weise behelligt. Wir stehen irgendwo dazwischen: Unserer Meinung nach müssen wir wieder lernen, wie wir mit Wölfen umgehen und mit ihnen zusammenleben. Gleichzeitig müssen wir aber auch dafür sorgen, dass es nicht zu übermässig vielen Konflikten kommt.
Was sind die aktuellen Empfehlungen für einen angeblich «wolfssicheren» Weidezaun?
Es gibt auf unterschiedliche Weidetiere angepasste Empfehlungen in Sachen Mindesthöhe und elektrische Spannung – für Schafe und Ziegen werden beispielsweise 120 Zentimeter hohe Zäune mit mindestens 4000 Volt empfohlen. Hinzu kommen Vorgaben für die Anzahl Drähte und den Untergrabungsschutz, also wie tief der Zaun eingegraben sein muss.
Die Sicherheitsvorgaben für Zäune sind in der Theorie ausreichend, scheitern aber an der Realität: Bei einem Tor etwa kann man keinen Untergrabungsschutz herstellen.
Anscheinend reichen diese Empfehlungen aber nicht immer aus. Warum ist das so?
Die Vorgaben sind in der Theorie ausreichend, scheitern aber an der Realität: Bei einem Tor etwa kann man keinen Untergrabungsschutz herstellen. Oder es kommt auch vor, dass aussen am Zaun ein Spazierweg vorbeiführt und Sitzbänke stehen – und diese dienen dem Wolf als eine Art «Sprungbrett». In manchen Fällen, wie bei Wanderschäfereien, sind die Vorgaben generell nicht umsetzbar.
Solche Einzelfälle werden oft nicht richtig gelöst. Und man kann ja nicht jeden einzelnen Zaun auf seine Sicherheit prüfen – das ist viel zu teuer, und so viele Wolfsexperten gibt es auch gar nicht.
Wie genau würde denn Ihre Lösung dazu beitragen, einen Zaun wolfssicher zu machen?
Unser Zaun, bzw. dass damit verbundene Deep-Learning-Modell, würde auf Kamerabildern erkennen, wenn Wölfe sich der Weide nähern und verschiedene Massnahmen auslösen, um diese zu verscheuchen.
Zuerst trainieren wir das Deep-Learning-Modell, Wölfe auf Bildern zu erkennen. Dafür arbeiten wir derzeit mit verschiedenen Wildparks zusammen. An deren Gehegen hängen wir unsere Kameras auf und sammeln dann Bilder – bei verschiedenen Wetterbedingungen und zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten.
Für die Bilderkennung haben wir bereits mehrere Varianten getestet:
Einerseits Wärmebildkameras; diese haben sich aber als vollkommen sinnlos herausgestellt. Ein Wolf strahlt generell nicht besonders stark Wärme ab, da sein Fell so gut isoliert. Ausserdem werden gerade im Sommer tagsüber verschiedene Elemente in der Umgebung aufgewärmt, wie Steine oder Pfützen. Diese sind noch Stunden nach Sonnenuntergang so heiss, dass sie mehr strahlen als ein Wolf. Man könnte höchstens noch unterscheiden, ob sich eine Wärmequelle bewegt oder nicht, aber da man keine wirklichen Formen erkennen kann, sondern einfach Wärme-Herde, weiss man dann immer noch nicht, ob das nun ein Wolf, ein Reh oder gar ein Mensch ist.
Eine weitere Methode, die wir gerade ausprobieren, ist ein Laser-Entfernungsmesser. Da werden die Abstände eines Objekts zum Messgerät berechnet und daraus dann eine 3D-Form rekonstruiert. Das funktioniert gerade in der Nacht oder auch bei Regen und Schnee sehr gut – wenn auf einer Kamera eine Schneeflocke landet, kann sie keine Bilder mehr aufnehmen. Das passiert dem Laser-Entfernungsmesser nicht. Dafür wird nichts ausser der Form registriert.
Die vielversprechendste Methode ist eine Nachtsichtkamera. Tagsüber hat man ein ganz normales farbiges Bild, und in der Nacht ein Schwarz-weiss-Bild. Auf beiden erkennt man einen Wolf sehr gut und könnte je nachdem sogar individuelle Wölfe unterscheiden.
Als «wolfssicher» würde ich aber auch diesen Zaun nicht nennen: ein sehr hungriger Wolf lässt sich durch keine Vergrämung lange aufhalten. Wir spielen also auf Zeit und versuchen, den Wolf zu beschäftigen, bis andere Massnahmen ergriffen werden können. Dies kann durchaus auch mehrere Nächte lang gut gehen.
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Und in einem zweiten Schritt würden diese Bilder vom Deep-Learning-Modell analysiert?
Genau. Die Bilder werden in einen Raspberry-Speicher geladen, auf dem das Deep-Learning-Modell läuft. Das heisst, die Bildanalyse passiert nicht in der Cloud sondern mithilfe von Edge Computing vor Ort und in Echtzeit. Das ist einerseits ein Vorteil in Sachen Datensicherheit, andererseits sind wir so auch unabhängig von externen Netzwerken.
Nun hat das Deep-Learning-Modell also einen Wolf erkannt. Wie informiert es den/die Halter*in der Weidetiere? Und wie wird der Wolf anschliessend verscheucht?
Bezüglich der Art und Weise, wie sie beim Erscheinen eines Wolfs alarmiert werden sollen, haben unsere Test-Nutzer*innen bereits genaue Vorstellungen. Zum Beispiel wollen sie erstmal selbst bestätigen, dass auf dem Bild tatsächlich ein Wolf zu sehen ist, bevor weitere Massnahmen ausgelöst oder Instanzen alarmiert werden.
Wenn es sich nachweislich um einen Wolf handelt, starten wir eine Reihe von Vergrämungs-Massnahmen. Die ganze Situation soll ungewohnt und unangenehm für den Wolf sein, aber keine bleibenden Schäden hervorrufen. Eine dieser Massnahmen basiert auf Ultraschall, darauf reagieren Wölfe viel sensibler als Menschen. Zusätzlich kann man den Wolf auch mit dem Einsatz stroboskop-artiger Lichter desorientieren.
Natürlich besteht die Gefahr, dass sich ein Wolf mit der Zeit an die immer gleiche Vergrämungs-Massnahme gewöhnt. Deswegen versuchen wir, sie in einer zufälligen Abfolge anzuwenden, damit er durch immer wieder neue Stimuli abgeschreckt wird.
Wenn unsere KI einen Wolf entdeckt, starten wir eine Reihe von Vergrämungs-Massnahmen. Dabei kommen etwa Ultraschall oder stroboskop-artige Lichter zum Einsatz.
Wie stellen Sie sicher, dass diese Vergrämungs-Massnahmen die Weidetiere nicht stören?
Wir testen alle Massnahmen an Wölfen wie auch an Weidetieren. Weidetiere sind aber bei weitem nicht so schreckhaft, wie man denkt. Man kann sie ausserdem trainieren, sodass sie flackernde Lichter oder Lärm mit der Zeit ignorieren, während es für den Wolf weiterhin abschreckend wirkt.
Könnte der mAInZaun auch für die Abschreckung anderer Wildtiere genutzt werden?
Grundsätzlich kann man den Zaun genauso gut auf Wildschweine, Luchse oder Bären trainieren wie auf Wölfe – auf alle Tiere, die für Weidetiere ein Problem sein könnten. Dazu zählen in manchen Gebieten auch freilaufende Hunde.
Und die Erkennung von Wildtieren kann man natürlich auch noch breiter denken: Wir haben aktuell ein Projekt in Sri Lanka, da wollen wir eine Art virtuelle Zäune bauen, die anhand von Bodenerschütterungen erkennen, wenn sich eine Elefantenherde einem Dorf nähert. Es kommt nicht selten vor, dass solche Herden ganze Dörfer zerstören. Eigentlich kann man sie gut vertreiben, z. B. indem man Töpfe aneinanderschlägt und so Lärm macht. Aber um das tun zu können, muss man natürlich wissen, dass sie kommen.
In diesem Fall arbeiten wir jedoch nicht mit Kameras, sondern mit Beschleunigungssensoren in der Erde. Und die Erkennung übernimmt dann ein neuronales Netz oder eine Support Vector Machine.
Grundsätzlich kann man den Zaun genauso gut auf Wildschweine, Luchse oder Bären trainieren wie auf Wölfe – auf alle Tiere, die für Weidetiere ein Problem sein könnten.
Wenn Ihre KI-Lösung Wölfe so effizient vertreibt – braucht man dann überhaupt noch einen Zaun?
Theoretisch bräuchte es den Zaun zum Schutz der Weidetiere nicht mehr, wenn man unsere KI-Lösung zur Verscheuchung hat. Allerdings hat man ohne Zaun das Problem, dass man nicht steuern kann, in welche Richtung ein Wolf die Flucht ergreift. Ausserdem müssen die Weidetiere ja trotzdem eingehegt werden.
Was wir uns aber überlegen, ist, unsere Lösung mit einem ganz einfachen Weidezaun zu kombinieren – dann muss man nicht einen massiven, teuren Metallzaun bauen, auch nicht an Orten wie in den Bergen, wo das gar nicht geht. Der Zaun dient dann lediglich der Einzäunung der Herde und als psychologische Schranke für den Wolf, damit er von der Herde wegrennt. Und den eigentlichen Wolfsschutz übernimmt allein unsere KI-Lösung.
Die Diskussion um das Thema Wolf ist ja extrem emotional aufgeladen. Könnte der mAInZaun dazu führen, dass sie sich ein wenig entspannt?
Schwierig zu sagen. Grundsätzlich finde ich es schon einmal gut, dass wir den jetzigen Pro- und Kontralagern eine weitere Dimension hinzufügen. Es wäre schön, wenn sich die Diskussion dadurch wegbewegen würde von diesem Entweder-oder, Schwarz-weiss, und wenn andere Forscher*innen weitere Möglichkeiten aufzeigen würden, damit umzugehen. Etwa in anderen Kontexten, in denen unsere Lösung weniger gut funktioniert. Dass wir dazu einen Anstoss gegeben haben – das hoffe ich.
Zur Person
Prof. Dr. Anna Förster ist seit 8 Jahren Professorin im Bereich Sustainable Communication Networks an der Universität Bremen. Sie kombiniert KI-Techniken wie Machine Learning mit drahtlosen Kommunikationsprotokollen und -anwendungen. Damit unterstützt sie nachhaltige Entwicklung z. B. in der Landwirtschaft oder auch im Bereich der Umweltüberwachung. Förster hat einen PhD in Computer Science von der Universität Lugano, CH.
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