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KI & Kant – Philosophische Schlaglichter auf die IT

Neue Technologien prägen unseren Alltag immer mehr. Blickt man auf den öffentlichen Diskurs, stösst man relativ schnell auf ein mythologisches Minenfeld. Dies gilt besonders für Themen wie künstliche Intelligenz oder Robotik.
von Ana Campos
Befeuert von der Clickbait-Logik der Boulevard-Medien und der Populärkultur werden Dystopien im Akkord produziert. Während manche Ängste berechtigt sind, sind andere unbegründet, oder anders gesagt: nicht zu Ende gedacht. Es gilt, den Fokus weg von der Maschine und hin zum Menschen zu lenken – und in diesem Zusammenhang ein paar grundlegende Fragen neu zu ergründen.
Einer der ersten, die genau dies gemacht und den Menschen radikal ins Zentrum gestellt haben, war der Philosoph Immanuel Kant. Dem aufklärerischen Ethos folgend, sollte nicht mehr Gott im Zentrum der Welt stehen, sondern der Mensch. Kant formulierte die berühmten 4 Grundfragen der Philosophie, die sich genau damit befassten:
- Was kann ich wissen?
- Was ist der Mensch?
- Was soll ich tun?
- Was darf ich hoffen?
Auch wenn inzwischen über 200 Jahre vergangen sind, haben Kants Grundfragen nichts an Gültigkeit verloren, ganz im Gegenteil. Sie sind heute wichtiger denn je, wo wir vielerorts dem Trugschluss verfallen, Technologie als Allheilmittel zu bewerten und entsprechend mit ihr umzugehen. Diese Grundfragen können nicht nur, sondern müssen gerade im Hinblick auf die Nutzung neuer Technologien wie künstliche Intelligenz neu beantwortet werden.
Was künstliche Intelligenz (nicht) ist und (nicht) kann ...
Zur ersten Frage: Was kann ich wissen? Hier sind zwei Aspekte in Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz zu unterscheiden: Unser Wissen über und durch künstliche Intelligenz. Ersteres ist, wie in der Einleitung bereits aufgezeigt, häufig negativ aufgeladen. So hat eine grossangelegte Studie in Deutschland 2019 ergeben, dass Dreiviertel aller Deutschen Arnold Schwarzeneggers Terminator als sinnbildlich für künstliche Intelligenz sehen, gefolgt von R2D2 von Star Wars. Es scheint also die Angst vorzuherrschen, dass Heerscharen von Robotern dereinst die Weltherrschaft übernehmen. Deshalb gilt es im Kontext der ersten Frage zuerst einmal genau diesen Mythos zu entkräften. Was kann KI denn nun? Künstlich intelligente Systeme machen im Prinzip nichts anderes, als Vorhersagen zu treffen – dies auf Basis grosser Datenbestände. Sie ahmen, überspitzt formuliert, das menschliche Gehirn nach, das durch Erfahrung lernt. Was eine künstliche Intelligenz jedoch von einem menschlichen Gehirn unterscheidet, ist, dass eine KI sehr viel mehr üben muss, um etwas richtig zu erkennen. Während ein zweijähriges Kind einmal eine Katze knuddelt und danach weiss, was eine Katze ist, braucht eine KI hunderttausende von Bildern hierfür. Weiter ist künstliche Intelligenz immer auf Input durch den Menschen angewiesen – sie lernt nicht aus sich heraus: So trainieren wir eine KI mit entsprechenden Texten, Zahlen oder Bildern – und weisen sie darauf hin, wenn sie etwas falsch erkannt oder verknüpft hat. Der allerwichtigste Unterschied ist jedoch: Eine KI hat kein Bewusstsein darüber, was sie tut. Aus diesen Überlegungen lässt sich ableiten: KI wird niemals intelligenter oder mächtiger sein als der Mensch. Sie ist auf den Menschen angewiesen, ja abhängig von ihm.
... und was uns dies nützt
Der zweite Aspekt innerhalb der ersten Frage betrifft unser Wissen durch künstliche Intelligenz: Was können wir mit KI erreichen? Künstliche Intelligenz unterstützt uns dabei, aus sehr grossen Datenbeständen Informationen zu ziehen und daraus wieder Wissen und Insights abzuleiten, wie dies die folgende Grafik anschaulich zeigt.
Quelle: Trivadis
Nehmen wir ein Beispiel aus der Wissenschaft: Forschende des amerikanischen Lawrence Berkeley National Laboratory ist es 2019 mithilfe eines Algorithmus gelungen, neue Zusammenhänge in 3 Millionen wissenschaftlichen Arbeiten zu finden. Versteht sich von selbst, dass die Forschenden all diese Arbeiten niemals hätten durchlesen können. Künstliche Intelligenz kann uns also dabei unterstützen, aus Daten schlauer zu werden. Doch es braucht auch hier immer eine Interaktion durch den Menschen – etwa, indem die KI mit neuem Material gefüttert oder eben auf Fehler aufmerksam gemacht wird.
Der Mensch bleibt analog und an erster Stelle
Ziehen wir die 4. Frage vor: Was ist der Mensch? Geht es nach Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google, können wir bereits in 20 bis 30 Jahren unser Gehirn komplett einscannen, auf einen Computer laden und als Software weiterleben lassen. Prognosen wie diese basieren auf der Annahme, dass sich sämtliche Aspekte menschlichen Handelns, Denkens und Erlebens als Informationsprozesse modellieren und digital simulieren lassen. Dabei wird jedoch ein wesentlicher Aspekt ignoriert: Nur wir Menschen besitzen die Fähigkeit, jemandem oder etwas einen Sinn zu geben. Niemand wird abstreiten wollen, dass neue Medien unsere sozialen Beziehungen beeinflussen. Bis zu welchem Grad sie dies tun, entscheiden aber nicht sie, sondern wir. Mit der urmenschlichen Fähigkeit der Sinngebung gehen Eigenschaften wie Verletzlichkeit, Vertrauen, Intuition und Empathie einher. Und auch sie lassen sich nicht «programmieren». Eine Maschine, egal wie intelligent sie auch sein mag, wird nie in der Lage sein, einen Menschen ganzheitlich wahrzunehmen, mit all seinen Schattierungen und Brüchen – selbst dann nicht, wenn sie all seine digitalen Spuren kennt. Unser Bauchgefühl und unser Gespür für Zwischentöne sind nicht imitierbar.
Neue Technologien sind Mittel zum Zweck – nicht mehr und nicht weniger. Sie helfen uns, unser Leben und Arbeiten zu vereinfachen. Mein iPhone und mein Microsoft Surface zum Beispiel sind wichtige Begleiter in meinem Alltag. Sie sind jedoch nicht in der Lage, aus sich heraus eine Bedeutung oder einen Sinn zu generieren. Dies übernehme ich. Deshalb ist es unerlässlich, dass wir den Menschen weiterhin konsequent an erste Stelle setzen.
Neue Technologien sind Mittel zum Zweck – nicht mehr und nicht weniger. Sie helfen uns, unser Leben und Arbeiten zu vereinfachen.
Transparenz, Gerechtigkeit & Fairness
Die verbleibenden zwei Fragen «Was soll ich tun?» und «Was darf ich hoffen?» zielen auf die Ethik ab – in unserem Fall auf die digitale Ethik. Auch wenn bereits sehr viel darüber diskutiert wurde, sind sie alles andere als eindeutig zu beantworten. So hat das Health Ethics and Policy Lab der ETH Zürich herausgefunden, dass sich in 84 analysierten Leitlinien kein einziges gemeinsames ethisches Prinzip findet. Fünf werden jedoch immerhin in mehr als der Hälfte der Dokumente zumindest erwähnt. Es sind dies Transparenz, Gerechtigkeit & Fairness, das Verhindern von Schaden, Verantwortung, sowie Datenschutz & Privatsphäre. Darüber gilt es weiter zu reden, und zwar in allen Schichten der Gesellschaft – denn neue Technologien betreffen uns alle. Es ist an uns, gemeinsam zu definieren, wie wir mit neuen Technologien umgehen wollen. Ein aktuelles und sehr plakatives Beispiel sind intelligente Roboter, die immer mehr auch in der Pflege eingesetzt werden. Inwieweit sollen diese menschliche Interaktionen (nicht) ersetzen?
Als Abschluss und weiteren Denkanstoss möchte ich auf das Kunstwerk “Edmond de Belamy” eingehen.
Quelle: Christie's
Es wurde 2018 auf der Basis von 15’000 eingespiesenen Porträts von einer künstlichen Intelligenz erstellt, ausgedruckt und bei Christie’s versteigert – und zwar für 432’500 Dollar. Mitkonkurrenten wie Andy Warhol und Roy Lichtenstein hat es damit weit hinter sich gelassen. So ist es nicht nur das teuerste computergenerierte Bild aller Zeiten, sondern auch, wie die Wiener Kunsthistorikerin Patricia Grzonka treffend sagt, “Symbol für eine neue Mensch-Maschinen-Relation, vor der nun selbst der Kunstmarkt kapituliert hat”.
