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Daten in DNA speichern? Das geht und hat erstaunliche Vorteile

Der diesjährige European Inventor Award ging an eine Erfindung mit dem Potenzial, die Datenspeicherung zu revolutionieren. ETH-Professor Robert Grass hat zusammen mit seinem Kollegen Wendelin Stark eine Methode gefunden, Daten in DNA zu speichern und für Jahrhunderte zu erhalten. Im Interview erzählt Grass, was der Erfindung für den grossen Durchbruch noch fehlt und in welchem Bereich DNA als Datenspeicher trotzdem schon bald Alltag sein könnte.
Mit Robert Grass sprach Oliver Bosse
Sie verwandeln Daten in DNA. Können Sie mir erklären, wie das funktioniert?
Eigentlich ist das gar nicht so aussergewöhnlich, wenn man mal anfängt, sich damit zu beschäftigen. Am besten verstehen können die meisten wohl Speichermedien wie Festplatten oder optische Speicher wie eine DVD. Die einen funktionieren magnetbasiert, die anderen, indem es entweder ein Loch oder kein Loch gibt, also 0 und 1. In der Natur lässt sich das ähnlich herunterbrechen: Alle Lebewesen speichern ihre genetischen Informationen in DNA. Das ist nichts anderes als ein sehr langes, chemisches Molekül mit bis zu drei Milliarden Positionen. An jeder dieser Positionen gibt es vier verschiedene Möglichkeiten A, C, T und G. So speichert die Natur ihre Informationen. Wir Menschen bedienen uns in der Regel der 26 Buchstaben, um Informationen zu speichern, bei Computern sind es 0 und 1 und in der Natur eben A, C, T und G.
Und wie lässt sich dies nun nutzen?
In der Biologie wird die Zusammensetzung dieses Moleküls nur kopiert, beispielsweise beim Erbvorgang. Um etwas Spezifisches darin zu speichern, muss die Abfolge von A, C, T und G bewusst bestimmt und wieder ausgelesen werden können. Diese Idee allein – DNA als Datenspeicher zu verwenden – ist dabei nicht neu, sondern wohl so alt wie das Wissen darüber, wie DNA funktioniert. Die Herausforderung war allerdings: Wie lässt sich das in grossem Massstab umsetzen. In diesem Bereich gab es in den letzten 10 Jahren extreme Fortschritte – und diese nutzen wir nun, um Daten in DNA schreiben und wieder auslesen zu können.
Was ist der Vorteil davon, keine Nullen und Einsen, sondern DNA zu haben?
Die DNA bringt sozusagen zwei enorme technische Vorteile: Einer ist die extreme Kompaktheit beziehungsweise Dichte, mit der Daten gespeichert werden können. Das theoretische Limit wurde berechnet auf 200 Exabyte pro Gramm. Das sind 200 Millionen Terabyte. Also hätte ein winziger Würfel DNA die Speicherkapazität von 200 Millionen ein Terabyte Festplatten. Der zweite grosse Vorteil ist die Haltbarkeit von DNA. Wir wissen aus fossilen Funden wie Knochen, dass DNA richtig konserviert nach hunderttausenden von Jahren noch gelesen werden kann. Das ist ein grosser Kontrast zu modernen Speichermedien, bei denen diese Stabilität um ein Vielfaches kleiner ist. Eine Festplatte hält vielleicht 20 Jahre, eine SD-Kate noch weniger lange – und die Daten gehen verloren.
Ein winziger Würfel DNA hat laut Berechnungen die Speicherkapazität von 200 Millionen ein Terabyte Festplatten.
Zusammen mit Wendelin Stark haben Sie genau dafür 2021 den European Inventor Award in der Kategorie Forschung gewonnen. Sie haben eine Methode gefunden, „Daten-DNA“ über Jahrhunderte erhalten zu können …
Genau, wir haben im Grunde das erwähnte Fossil nachgestellt, dank dem die DNA vor dem Zerfall geschützt werden kann. Bei unserem Verfahren wird die DNA in Glas eingeschlossen, das sie vor externen chemischen Faktoren schützt. Vor allem Wasser, also auch Luftfeuchtigkeit, ist ein Problem. Ohne das Glas würde die DNA innerhalb von Jahren zerfallen, mit Glas können wir eine Stabilität von einigen hundert Jahren voraussagen – ganz ähnlich wie man es von DNA in Fossilien kennt.
Warum Glas?
Unser Hintergrund ist die Nanotechnologie. Dort wird Glas, beziehungsweise Siliziumdioxid, häufig verwendet, da es sich polymerisieren lässt. Mit Glas lässt sich alles Mögliche beschichten. Ausserdem bringt Glas einen besseren Schutz als beispielsweise Polymere, und es lässt sich molekular einfacher aufbauen als beispielsweise Keramiken. Wir machen zurzeit aber noch weitere Untersuchen, unter anderem mit Calciumphosphat, das ja ein wichtiger Bestandteil von Knochen ist.
In welchen Bereichen kann diese Haltbarkeit von Daten wichtig sein, wo schlummert das Potenzial?
Es gibt eine ganze Reihe von Dingen. Das eine ist die Aufbewahrung wertvoller Information beziehungsweise Daten – wertvoll im gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Sinn – bei denen man sichergehen will, dass sie nicht kaputt gehen. Dort spielen aktuell die Kosten noch eine entscheidende Rolle, da DNA-Datenspeicherung nach wie vor relativ teuer ist. Es wird mit grossen Anstrengungen daran gearbeitet, dies günstiger zu machen. Wird dies erreicht, erweitert sich der Nutzen mit Sicherheit auch von den sehr wertvollen Daten auf diejenigen, die archiviert werden sollen oder müssen. Dort sind nach wie vor viele Festplatten und Bandlaufwerke im Einsatz mit einer Haltbarkeit von rund 50 Jahren, die dann immer wieder überschrieben werden müssen.
Mit Glas können wir eine Stabilität von einigen hundert Jahren voraussagen – ganz ähnlich wie man es von DNA in Fossilien kennt.
Werden trotzdem bereits Projekte mit dieser Art der Datenspeicherung umgesetzt?
Wir haben bereits einige Projekte zum Beispiel mit Künstlern oder auch Netflix umgesetzt, allerdings eher in die Richtung PR-Vorhaben. Die Band Massive Attack hat uns beispielsweise angefragt, ob wir ihr Album als DNA speichern können. Im Grunde ist dies optisch am Ende unspektakulär; ein Glaskügelchen mit der enthaltenen DNA, die man als weisses Pulver wahrnimmt. Wir haben uns deshalb überlegt, wie wir auch einen optischen Mehrwert schaffen könnten. Ein Mitglied von Massive Attack ist ein Graffiti-Künstler. So haben wir zunächst die Daten in weisses "DNA-Pulver" verwandelt, in die Glaskugel gegeben und dem Pulver Graffiti-Farbe zugesetzt. Wir können also Daten praktisch als Farbe irgendwo hineingeben, was ich persönlich eine weitere spannende Möglichkeit der DNA-Datenspeicherung finde, bei der aber fraglich ist, wo genau sie von Nutzen sein könnte.
Gibt es noch andere Ansätze?
Es gibt entsprechend auch die Möglichkeit, Daten praktisch unsichtbar irgendwo anzubringen, da die Glaskügelchen derart winzig und praktisch durchsichtig sind. So haben wir beispielsweise ein Video in einem Brillenglas „versteckt“. Oder wir haben schon Versuche mit 3D-Druck gemacht. Wir haben den berühmten Standford Bunny gedruckt und in diesem enthalten ist Polymer mit DNA, welche die Bauanleitung für den Hasen encodiert. Es ist also möglich, ein Stück des Hasen abzubrechen, die DNA auszulesen und die Daten zu bekommen, mit denen sich ein neuer Hase drucken lässt. Bis jetzt sind Daten immer an eine feste physikalische Einheit mit einer bestimmten Form gebunden. Mit dieser Methode kann man sich davon lösen.
Wo liegen die grössten Schwierigkeiten beim Prozess der DNA basierten Datenspeicherung?
Insbesondere beim Schreiben der Daten, also wie sich DNA schnell in grossen Mengen synthetisieren lässt. Dafür braucht es ein entsprechendes Gerät, von denen es bisher nur ganz wenige auf der Welt gibt. Wo bestimmt auch noch Arbeit hineingesteckt werden muss, ist die Automatisierung beim Auslesen. Für unsere Glaskügelchen braucht es je nach dem einen Tag im Labor mit grossen Gerätschaften, um die DNA sauber auszulesen und aufzubereiten. Es sind zwar auch heute bereits kleine Sequenzer im Einsatz. Diese können aber beispielsweise lediglich ein virales Genom am Tag auslesen, das extrem viel kleiner ist als ein menschliches. Microsoft beschäftigt sich unter anderem damit, diesen Prozess zu automatisieren. Sie haben einen Prototyp in der Grösse eines Tisches, der bereits „Hello World“ vollautomatisiert in DNA speichern und wieder auslesen kann. Von einer Festplatte ist man allerdings noch weit entfernt. Der andere Knackpunkt sind die angesprochenen Kosten.
Bis jetzt sind Daten immer an eine feste physikalische Einheit mit einer bestimmten Form gebunden. Mit dieser Methode kann man sich davon lösen.
Was müsste passieren, dass diese nicht mehr derart hoch sind?
Eine Hoffnung wäre natürlich, dass das Anwendungsfeld und entsprechend die Nachfrage nach DNA als Datenspeicher dereinst grösser wird und dies die Preisentwicklung weitertreibt. Im Bereich der Genanalyse, insbesondere im medizinischen Bereich, gibt es diesbezüglich grosse Fortschritte.
Wie schafft man eine grössere Nachfrage?
Das ist sehr schwierig zu sagen. Wer ist bereit, für einen Datenspeicher mehr zu bezahlen, der viel kompakter und viel länger haltbar ist? Und für wie viele Daten? Nun gibt es die erwähnten Anwendungsbereiche wie das Archivieren von Daten, bei denen man dereinst einen etablierten Datenspeicher ersetzen könnte. Interessant ist: Man weiss aus der Entwicklungsgeschichte anderer Datenträger, dass der Erfolg sich oft erst mit einer neuen Anwendung einstellt. Ein gutes Beispiel ist die SD-Karte. Ihr Durchbruch kam erst durch die digitale Fotokamera, obwohl die Technologie schon länger existierte.
Ihrem DNA-Datenspeicher fehlt also quasi noch das passende Produkt?
Sozusagen. Es gibt den planbaren Weg wie das Datenarchiv, den wir aktuell weiterverfolgen. Aber es könnte sich natürlich auch auf einem nicht planbaren Weg etwas ergeben.
Mit dem ETH Spin-off Haelixa sind Sie bereits im Markt aktiv, auch mit DNA, allerdings in einer etwas anderen Richtung …
Die Idee von Haelixa ist, DNA in ein Produkt hineinzugeben und es dadurch erkennbar und nachverfolgbar zu machen. Wir kennen Barcodes. Diese sind allerdings lediglich auf der Verpackung. Davor gibt es eine Lücke. So beschäftigt sich Haelixa beispielsweise mit Baumwolle, die über eine lange Lieferkette hinweg rückverfolgbar sein soll. Mit Haelixa ist es möglich, die Baumwolle mit DNA unsichtbar zu markieren, sie zum Teil des Produkts werden zu lassen und so ihre Herkunft jederzeit nachvollziehen zu können. Es gibt auch ein Projekt mit Smaragden. Bereits in der Mine wird der rohe Stein mit der DNA markiert und diese begibt sich dann in die Poren. Es spielt keine Rolle mehr, wie sehr er bearbeitet und geschliffen wird, die Information bleibt enthalten.
Haelixa ist ein erstes Beispiel, wie Daten als DNA bereits heute mit einer realistischen Kostenstruktur im wirtschaftlichen Kontext eingesetzt werden. Dabei werden allerdings nur Daten in ganz kleinen Mengen von vielleicht 100 oder 200 Bit gespeichtert. Das ist dann auch entsprechend günstig.
Bereits in der Mine wird der rohe Stein mit der DNA markiert und diese begibt sich dann in die Poren. Es spielt keine Rolle mehr, wie sehr er bearbeitet und geschliffen wird, die Information bleibt enthalten.
Und das Auslesen klappt über die ganze Lieferkette hinweg?
Ja, das Ausleseverfahren ist dort ein bisschen einfacher. Dafür können teilweise kleine Sequenziergeräte genutzt werden. Es ist aber auch mit einem einfachen PCR-Test möglich, wie wir ihn alle von den aktuellen Corona-Tests kennen.
Es geht also in diesem Bereich bereits in Richtung Alltagsgebrauch?
Vielleicht nicht für uns als Privatpersonen, aber am Zoll, im Einkauf oder in Lagerhäusern. Künftig kann es aber auch für Käufer*innen, beispielsweise von Kleidung, ein Mehrwert sein. Sie sehen zwar nicht die Markierung, wissen allerdings anhand beispielsweise eines Labels, dass, was gekauft wird, durch einen Marker zusätzlich geschützt ist.
Zur Person
Der aus Österreich stammende Robert Grass hat Chemieingenieurwesen an der ETH Zürich studiert und mit einer Arbeit zum Thema Nanopulversynthese und -anwendung promoviert. Seit 2017 ist er Titularprofessor am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften an der ETH. Derzeit arbeitet Robert Grass daran, die DNA-Datenspeicherung als digitale Informationstechnologie zu nutzen und diese Technologie für die Langzeitarchivierung digitaler Daten einzusetzen, sowie an der Nutzung von DNA als Technologie zur Integration digitaler Produktionsinformationen in physische Gegenstände. Mit dem ETH Spin-Off Haelixa AG wird die von ihm mitentwickelte DNA-Speichermethode bereits kommerzialisiert.