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Wer braucht eine Digitalstrategie?

Um die Antwort vorwegzunehmen: Nicht jedes Unternehmen. Heutzutage die überwiegende Mehrheit. In Zukunft weniger. Wie ist das gemeint?
von Martin Luckow

Eine Digitalstrategie ist eine am Business ausgerichtete Antwort auf Fragestellungen zur fortschreitenden Digitalisierung unserer Welt. Die Grundfrage lautet hier "Wie muss sich mein Unternehmen entwickeln, um in dieser Welt zu überleben und zu wachsen?“ und berührt alle Unternehmensbereiche wie Management, Marketing, Vertrieb, Produktion, Administration, CRM usw.
Damit ergibt sich auch der erste Teil der Antwort: Eher früher als später sind digitale Denk- und Arbeitsweisen sowie strategisch relevante Technologien obligatorisch für ein erfolgreiches Business. Das bedeutet, dass diese Aspekte in jeder Geschäftsstrategie thematisiert werden müssen. Unternehmen und Organisationen, die diesen Schritt vollzogen haben und für die digitales Denken und digitale Technologien in den Mittelpunkt gerückt sind, benötigen im Grunde keine Digitalstrategie, denn diese ist mit der Geschäftsstrategie verschmolzen. Vollständig digitale Geschäftsstrategien lassen sich oft bei Startups finden, da sie ihr Geschäft bereits von Anfang an digital aufziehen konnten.
Die Mehrheit der Unternehmen ist bei weitem nicht so weit – das ist der zweite Teil der Antwort. Vor allem gewachsene Organisationen müssen ihre Geschäftsstrategie durch eine digitale Ergänzung vervollständigen. Dabei stehen sie vor verschiedenen Herausforderungen:
Eine ist, dass die Auswirkungen und Potenziale der Digitalisierung vom Management oft nicht umfassend verstanden werden. Solche Organisationen müssen lernen, dass Digitalisierung nicht einfach „mehr IT“ bedeutet. Digitalisierung zielt zunächst auf die Köpfe, die in neue Richtungen denken lernen müssen. Dass aus den dann entstehenden Ideen ein Bedarf nach IT-Unterstützung entspringt, ist eine Wirkung, nicht die Ursache. Digitale Ideen müssen aktiv erarbeitet werden, was im Alltag ohne Innovationsprozesse schwerfällt. Ohne diese Wissensbasis lassen sich aber keine Visionen entwickeln, aus denen Strategien entspringen könnten.
Digitalisierung zielt zunächst auf die Köpfe, die in neue Richtungen denken lernen müssen.
Eine weitere Herausforderung findet sich in alten Strukturen, Denkmustern und Verhaltensweisen. Das Wort „digital“ verleitet z. B. viele dazu, digitale Fragestellungen von derjenigen Instanz beantworten zu lassen, der das Thema in der aktuellen Organisationsform scheinbar am nächsten liegt: der IT.
Eine gut aufgestellte IT hat die Kompetenz, eine ausgefeilte IT-Strategie zu liefern. Eine IT-Strategie ist jedoch eine technische Antwort auf die Frage des Business "Wie verhilft die IT dem Unternehmen zum Erfolg?“. Durch diesen technischen Fokus kann sie nicht alle Fragestellungen der Digitalisierung beantworten. Zudem setzt eine klassische IT-Strategie voraus, dass die Geschäftsstrategie festgelegt ist und Anforderungen abgleitet werden können. Sie hat zur Aufgabe, die IT so auszurichten, dass die Geschäftsstrategie zum Erfolg führt. In einem Strategieprozess folgt eine IT-Strategie zeitlich der Geschäftsstrategie.
Der IT die Formulierung einer Digitalstrategie abzuverlangen, ist also problematisch. Es deutet zunächst an, dass vom Unternehmen Digitalisierung nicht umfassend genug verstanden wird. Es besteht die Gefahr, dass die Antwort der IT im besten Fall unvollständig sein wird oder zu früh ein technischer Fokus gesetzt wird. Oder es verlangt von der IT, sich so aufzustellen, dass sie zukünftig strategische relevante digitale Fragestellungen für alle Fachabteilungen auf Business-Ebene beantworten kann… das ist nicht realistisch.
Verantwortlichkeiten
Eine Trennung zwischen einer technisch ausgerichteten IT-Strategie und den Strategien der Business-Ebene sollte also aufrecht erhalten bleiben. Jedes Unternehmen, jede Organisation benötigt daher sowohl eine IT-Strategie als auch entweder eine vollständig digitale Geschäftsstrategie oder eben eine Geschäftsstrategie, die von einer Digitalstrategie ergänzt wird.
Die Erarbeitung einer umfassenden Digitalstrategie muss auf der Ebene des Business erfolgen. Sie sollte nicht einer einzelnen Abteilung abverlangt werden, die eigentlich andere Aufgaben hat. Dies erzeugt das Risiko, dass das Thema mit der Abteilungsbrille gesehen wird.
Sinnvoller ist die Etablierung einer eigenen Instanz, die das ausschließliche Ziel hat, diese Strategie zu formulieren. Das entsprechende Team muss die Übersicht über externe Trends und strategisch relevante Innovationen haben. Dabei ist es irrelevant, ob ein direkter Bezug zum aktuellen Business besteht, da relevante Entwicklungen durchaus branchenfern entstehen. Das Team muss zusätzlich umfassende Kenntnis über das Business, interne Gegebenheiten, Bottlenecks und Potenziale haben.
Ausprägungen von Digitalstrategien
Eine Digitalstrategie wird also benötigt, solange die Geschäftsstrategie selbst nicht digital ist. Eine Digitalstrategie definiert, welche digitalen Kanäle und Assets und wie digitale Technologien eingesetzt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern oder zu steigern. Sie ist wie die Geschäftsstrategie ganzheitlich angelegt und bezieht sich auf alle für die Wettbewerbsfähigkeit relevanten Bereiche.
Ausgehend von der Frage "Wie muss sich mein Unternehmen entwickeln, um in einer zunehmend digitalen Welt zu überleben und zu wachsen?“ ergeben sich zwei große Richtungen, in die sich eine Digitalstrategie entwickeln lässt. Auch die Kombination beider Ansätze ist möglich, aber oft nur schwer umzusetzen.
Zunächst stehen die meisten Unternehmen unter einem Optimierungsdruck, dem sich durch Automatisierung begegnen lässt. Die adäquate Wettbewerbsstrategie zielt dann auf Kostenführerschaft ab, d. h. Ziel sind möglichst hohe Renditen durch Optimierung mit Kosteneinsparung bei z. B. Produktion, Marketing oder Vertrieb. Diese Art von Digitalstrategien sind häufig anzutreffen, sie sollten jedoch nur temporär sein, da sie nur eine Teilmenge der Potenziale, die die Digitalisierung bietet, adressieren. Es müssen daher Mechanismen im Strategieprozess enthalten sein, die verhindern, dass sich ein Unternehmen dauerhaft in die „Optimierungsecke“ manövriert und andere Aspekte vernachlässigt.
Es müssen daher Mechanismen im Strategieprozess enthalten sein, die verhindern, dass sich ein Unternehmen dauerhaft in die „Optimierungsecke“ manövriert und andere Aspekte vernachlässigt.
Denn eine andere Richtung ist das Anstreben der Nutzenführerschaft. Digitalstrategien dieser Richtung setzen darauf, mithilfe digitaler Mittel dem Kunden etwas zu bieten, das genau dessen Vorstellungen und Werte trifft. Primär ausgerichtet auf Qualität, Service, Emotionen und ein umfassenderes Angebot kommen hier auch völlig neue Geschäftsmodelle ins Spiel, die ohne Digitalisierung nicht möglich wären.
Eine Digitalstrategie, die weder Kosten- noch Nutzenführerschaft adressiert, erzeugt das Risiko, dass das Unternehmen, seine Produkte oder Werte austauschbar werden und immer mehr Marktanteile verliert. Sie würde also keine sinnvolle Antwort auf die entscheidende Frage liefern.
Fazit
Die von der Digitalisierung ausgehende Druck wird letztendlich dazu führen, dass erfolgreiches Business grundsätzlich digitale Aspekte haben wird. Entsprechend werden zukünftige Geschäftsstrategien diese Aspekte umfassend und ganzheitlich thematisieren müssen. Mit fortschreitender Digitalisierung einer Organisation wird die Digitalstrategie also in die Geschäftsstrategie übergehen.
Solange Unternehmen sich im Transformationsprozess befinden, empfiehlt es sich, eine Digitalstrategie in Ergänzung zur Geschäftsstrategie zu entwickeln, um eine konsistente, iterative und adaptive Umsetzung der Digitalisierung zu ermöglichen und so Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu erhalten und auszubauen. Im Rahmen dieses Prozesses sollte auf Ebene der Digitalstrategie entschieden werden, ob Kosten-/Nutzenführerschaft oder beides mit digitalen Mitteln angestrebt wird, um nicht austauschbar zu werden.
Die Entwicklung einer Digitalstrategie sollte durch ein interdisziplinäres, sehr gut vorbereitetes Team erfolgen. Dieses Team muss dabei auf das Business fokussieren, aber trotzdem in der Lage sein, Ideen mit aktuellen Trends, Technologien und Innovationen so in Übereinstimmung zu bringen, dass eine erfolgreiche Digitalisierung der gesamten Organisation ohne Entstehung eines „digitalen Flickenteppichs“ erreicht werden kann.
