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Die Zukunft des Automobils: Autonome Fahrt ins Ungewisse

Key Visual Feuill-IT-ong

Seit der Draufgänger Phaeton seinem Vater Helios den Sonnenwagen in einem Anflug von Hybris entwendete und damit den ersten, dem kollektiven Menschheitsgedächtnis bekannten Verkehrsunfall verursachte, damals direkt mit keinen geringeren als katastrophalen Folgen für das gesamte Universum, träumt der Mensch von sicherer Fortbewegung.


von Strigalt von Entf*

Strigalt von Entf

Nun, an der Schwelle der Erfüllung dieses Traums, sollten wir uns einen Moment des Zauderns gönnen, um uns zu fragen, was wir dafür aufgeben: unsere Selbstbestimmtheit, unseren Herrschaftsanspruch, unsere Autonomie. Zehntausende von Jahren eroberte sich der Homo sapiens eine Stellung auf diesem Planeten, die von nahezu vollständiger Gestaltungsmacht gekennzeichnet ist: keine Fressfeinde mehr, Krankheiten und Umwelteinflüssen wird getrotzt, und selbst die Gesetze der Physik werden immer mehr ausgehebelt. Der Mensch bestimmte über sein Schicksal selbst – bis jetzt.

Wiktor Wasnezows auf Leinwand gebannter "Fliegender Teppich" liess es so einfach wie märchenhaft wirken: ein Fortbewegungsmittel, das einen durch Zauberhand ans gewünschte Ziel bringt. Weit gefehlt, wer im Irrglauben verhaftet war, das informationstechnische Wunderkind "künstliche Intelligenz" könnte diese Magie nun ebenso leicht wirken lassen. Mitnichten, wie inzwischen selbst Berufsvisionär und -utopist Elon Musk zähneknirschend eingestehen musste. Indes: die Gretchenfrage ist gleichwohl nicht, ob oder wann uns der binäre Chauffeur die Zügel aus der Hand nehmen wird. Vielmehr muss uns, geneigte Leserinnen und Leser, die Frage umtreiben, wer die Fäden hinter der künstlich intelligenten Marionette ziehen wird, die fortan Herr über unsere zurückgelegten Wegstrecken sein wird. Wie so oft stellt die Antwort die Riege der grossen IT-Unternehmen dar, die bald nebst unserem Onlineverhalten auch noch unser Fahrverhalten indoktrinieren wollen. Fährt das Amazon-Auto wirklich die schnellste Strecke zur Destination, oder gibt es doch eher der längeren Parallelstrasse den Vorzug, da es dort eine häufigere Präsenz von lukrativeren Produktwerbetafeln gibt? Will mich das Google-Auto fortan jede Woche zu dem Friseur fahren, dem ich einmalig als Dank für einen gelungenen Haarschnitt eine 4-Sterne-Bewertung spendiert habe?

Die Gretchenfrage ist gleichwohl nicht, ob oder wann uns der binäre Chauffeur die Zügel aus der Hand nehmen wird. Vielmehr muss uns, geneigte Leserinnen und Leser, die Frage umtreiben, wer die Fäden hinter der künstlich intelligenten Marionette ziehen wird, die fortan Herr über unsere zurückgelegten Wegstrecken sein wird. Wie so oft stellt die Antwort die Riege der grossen IT-Unternehmen dar, die bald nebst unserem Onlineverhalten auch noch unser Fahrverhalten indoktrinieren wollen.

All dies sind noch erduldbare Lappalien im Vergleich zu den Irrfahrten, die Odysseus Heimweg nach Ithaka wie eine Fronleichnamsprozession wirken lassen, wenn gelangweilte, pickelige Teenager aus Jux und Dollerei die Sicherheitssysteme der Autonomobile knacken, als wären es die Kundendatenbanken von Facebook oder der Zentralcomputer des FBI. Stundenlanges Umherirren im Kreisverkehr, Tanken bei den teuersten Zapfsäulen der Stadt, oder viel schlimmer noch: Anstatt friedlich ins Büro gebracht zu werden, schicken mich die barbarischen Hacker unmittelbar zu meiner Schwiegermutter kurz nach ihrer Gallen-OP. Zugegeben, die totale digitale Kontrolle hat natürlich auch ihre Vorzüge. Der Bankraub, wie wir ihn aus Film und Fernsehen kennen, gehört der Vergangenheit an. Verbrecher könnten mit dem autonomen Fluchtfahrzeug wohl kaum unbemerkt untertauchen, würden sich die Gefährte wohl kaum davon überzeugen lassen, die innerorts maximal erlaubte Geschwindigkeitsbegrenzung zu überschreiten oder eine Vorfahrt, geschweige denn eine rote Ampel zu missachten. Auch die scheinbar nie endenden, quälenden Fortsetzungen von „Fast and the Furious“ hätten ein Ende. Doch sind wir bereit, unsere Freiheit für ein Leben ohne Vin Diesel zu opfern?

Auch die scheinbar nie endenden, quälenden Fortsetzungen von „Fast and the Furious“ hätten ein Ende. Doch sind wir bereit, unsere Freiheit für ein Leben ohne Vin Diesel zu opfern?

Weiterhin würde auch ein wichtiges Zeremoniell auf dem Opfertisch des Technikgottes grausam ermeuchelt werden: Das wichtige Initiationsritual vieler Jugendlicher, die mit dem Erwerb ihres Führerscheins endgültig nun zum Kreis der Erwachsenen zählen dürfen. Ein grosser, ein wichtiger, ein lebensprägender Schritt: "Sieh, Mutter, sieh, Vater, ich kann nun laufen, sprechen und mich nunmehr kraft meiner Arme und Beine fort-bewegen, weit fort. Ich bin flügge!" Wozu, wenn das Auto das nun allein macht. Generationen von TomTom-Analphabeten werden nicht mal mehr in der Lage sein, ein Navigationsgerät zu bedienen.

Vielleicht bin ich nur ein Romantiker, der durch die Erinnerungen an die schöne Prise des Fahrtwindes durchs nachträglich eingebaute Schiebedach meines ersten Fiat 130 Coupé geleitet wird, aber ich meine, man muss nicht immer alles Schöne und Gute wegoptimieren, bis nichts mehr vom eigentlichen Menschsein übrig bleibt. Manchmal ist das, was uns in Erinnerung bleibt, auch einfach der Weg und nicht das Ziel. Und der Weg ist umso schöner, je mehr wir an ihm teilhaben, ihn mitgestalten können und ihn nicht nur passiv beschatten.

Verehrt – Ihr Strigalt von Entf

Zum Format

*Unser Format "Feuill-IT-ong" entsteht in Zusammenarbeit mit den freien Autoren Tobias Lauterbach und Daniel Al-Kabbani, die mitunter für die Satire-Plattform "Der Postillon" engagiert sind. Sie berichten unter dem Pseudonym Strigalt von Entf über aktuelle Geschehnisse aus der Welt der Technologie - natürlich immer mit einem Augenzwinkern! ;-)

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