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Das digitale Zeitalter der Kunst – Erlebnisse durch Daten & KI

Die Einflüsse neuer Technologien greifen bis tief in die Kunstwelt hinein. Das geht weit über Themen wie NFTs und Blockchain hinaus. Christoph Grünberger, Designer und Experte im Bereich datenbasierter Gestaltung, erzählt im Interview von den aktuellsten Trends und wie aus Daten Kunstwerke werden.
MIT CHRISTOPH GRÜNBERGER SPRACH OLIVER BOSSE
Algorithmen und künstliche Intelligenz halten Einzug in Kunst und Design. Geht es hier eher um neue Werkzeuge und Kunstformen, oder bringen diese Technologien grundlegende Veränderungen für die Welt der Kunst mit sich?
Es geht definitiv um mehr als nur um eine Reihe neuer Werkzeuge. Algorithmen und künstliche Intelligenz sind seit langem Themen, die die Kunstwelt interessieren. Doch was früher nur als Nebenprodukt von Ingenieuren im wissenschaftlichen Kontext belächelt wurde, erfährt heute einen Paradigmenwechsel. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Technologie die Ideen der Medienkünstler eindrucksvoll widerspiegelt und neue Ausdrucks- und Wahrnehmungsformen ermöglicht, die eine neue immersive Erfahrung bieten. In Galerien wie "Artechouse" in den USA oder "Nxt museum" in Europa können die Besucher eintauchen, ihren Alltag für eine kurze Zeit vergessen und wieder Kind sein – und staunen.
Hinzu kommen neue Wege des Kunstsammelns: Sowohl etablierte Galerien wie "Sotheby's" in New York oder die "Galerie König" in Berlin als auch Online-Plattformen wie "OpenSea" oder "Versum" haben es geschafft, NFTs von Profilbildern wegzuführen und zu einem Handelsinstrument im Kunstmarkt zu machen. Dies führt auch zu völlig neuen Beziehungen zwischen Künstlern und Sammlern: Im Bereich der generativen Kunst ist es nun möglich, ein Kunstwerk direkt im Prozess des "Mintings" (d.h. der Erstellung als Token auf der Blockchain) entstehen zu lassen ...
Haben die Technologien auch die Art und Weise verändert, wie Künstler arbeiten?
Definitiv. Einerseits hat es eine Emanzipation der digitalen Kunst auf breiter Ebene gegeben, vor allem dank der Blockchain-Technologie. Jeder digitale Künstler kann nun zusammen mit jedem anderen digitalen Künstler einen Token erstellen und so sein Kunstwerk einem breiten Publikum anbieten. Andererseits hat die Idee des Kollektivs, der Gruppe, vor allem im Kontext der NFTs wieder an Bedeutung gewonnen. Heutzutage erfordern Kunstwerke eine immer tiefere Spezialisierung. Da die Künstler ihre Fähigkeiten nicht in allen notwendigen Bereichen optimieren können, arbeiten sie zunehmend miteinander zusammen.
Wir sehen dieses Konzept der Gruppe in den Ateliers von Künstlern wie Random International, Refik Anadol Studio oder Quayola. Keiner von ihnen ist ein "Solokünstler", sie alle haben ein Team hinter sich, das ihnen hilft, herausragende Kunstwerke zu produzieren – industriell hergestellt und auf der Blockchain monetarisiert.
Sie alle haben ein Team hinter sich, das ihnen hilft, herausragende Kunstwerke zu produzieren – industriell hergestellt und auf der Blockchain monetarisiert.
Wenn ein Computer Kunst machen kann – wird dadurch die Rolle des Menschen im kreativen Prozess geschmälert?
Nein, das wird sie nicht. In der Zukunft könnten wir einem Computer die Anweisungen zum Rendern eines Bildes geben. Der emotionale Wert des Kunstwerks wird jedoch weiterhin von Menschen bestimmt werden. Ausserdem bleibt die Verbindung zwischen dem Künstler und dem Betrachter im Mittelpunkt. Auch wenn Algorithmen und KI immer besser werden, kommt es darauf an, welche Gefühle das Werk beim Betrachter auslöst und wer hinter dem Ergebnis steht.
Zweifellos beunruhigt der Gedanke an Technologien, die unsere Arbeit besser erledigen können als wir, einige. Aber diese Entwicklung kann auch positive Auswirkungen haben: Bildbearbeitungssoftware beispielsweise hat den Pool an talentierten Fotografen erweitert und es mehr Menschen ermöglicht, in diesen Bereich einzusteigen, ohne viel Geld für eine formale Ausbildung auszugeben.
Ich verbinde Kunst und Design mit Kreativität und Experimentierfreude – inwieweit passen Algorithmen und KI dazu?
Eine interessante Frage. Gehen wir einen Schritt zurück und betrachten wir die Entwicklung der digitalen Kunst seit dem ersten Auftauchen von Computern in den 1960er-Jahren. Pioniere wie Vera Molnar (*1924) oder Karl Gerstner (1930 - 2017) begannen zu erforschen, wie Maschinen in den Bereich der Kreativität und Kunst passen könnten. Molnar entwickelte z.B. ein System, das sie "machine imaginaire" nannte. Sie stellte sich vor, einen Computer zu besitzen und zeichnete endlose Linien, die sie mit minimalen Versatzinterferenzen auf Papier "webte". Gerstner berechnete Farben für seine "Synchromien", die er von seinen Assistenten auf die Leinwand sprühen liess, um Pinselstriche zu vermeiden und der Perfektion des Computers in der Produktion so nahe wie möglich zu kommen. Beide Künstler stellten sich vor, ein Computer zu sein und nutzten dies als Ausdrucksform.
Heutzutage lassen die Künstler den Computer Dinge tun und interpretieren sie dann aus menschlicher Sicht. Eine Reflexion des Molnar'schen Prinzips auf der "menschlichen" Achse sehe ich zum Beispiel in den Arbeiten des Medienkünstlers Refik Anadol, in denen das Thema "Machine Hallucination" auftaucht – Maschinen, die von dem träumen, was war, in einer Weise, die noch kommen wird.
Refik Anadol – Machine Hallucinations – Artechouse NY.
Dies führt auch zu allerlei Mischformen zwischen diesen beiden Polen. Der japanische Künstler Daito Manabe hat in seinem Werk die morphologische Beziehung zwischen Mensch und Maschine auf unterschiedliche Weise erforscht: "Electric Stimulus to Face" (2016) ist eine Performance, die mit Hilfe von Klang einen menschlichen Gesichtsausdruck erzeugt.
Electric Stimulus to Face – Daito Manabe/rhizomatiks.
Eine sensorische Muskelstimulation lässt das Gesicht in Abhängigkeit von den Klangparametern zucken (ein Maschinenimpuls interpretiert auf einem menschlichen Gesicht). In einem anderen Werk, "Morphecore" (2020), lässt Manabe seinen Avatar eruptiv nur mit Gedankenwellen tanzen (Impulse aus menschlichen Gehirnen, die als Bewegungen eines maschinengenerierten Avatars interpretiert werden).
Morphecore – Daito Manabe/rhizomatiks – Sonar Festival – All rights reserved.
Diese Werke zeigen die Fähigkeit der Künstler, moderne Technologien wie KI in ihre kreativen Prozesse einzubeziehen und sie zu einem Teil ihrer Experimentierfreude zu machen.
Virtuelle Erlebnisse sind nicht nur ein "Kunst-Ding"
Virtuelle Erlebnisse haben nicht nur die Welt der Kunst verändert – sie spielen auch eine immer wichtigere Rolle dabei, wie wir im Allgemeinen Informationen konsumieren, uns mit Freunden und Familie verbinden, an Veranstaltungen teilnehmen oder mit Marken interagieren.
Können Sie ganz praktisch erklären, wie abstrakte Daten in einen kreativen Mehrwert umgewandelt werden können?
Das Spannende an der Arbeit mit abstrakten Daten ist, dass die Kreativität des Einzelnen die einzige Grenze für die Strukturen ist, die er aus ihnen schaffen kann. Wie beim Bauen mit Legosteinen kann man die Daten auf jede beliebige Weise formen.
Wie wir bereits erörtert haben, kennen die Künstler von heute in der Tat keine Grenzen, wenn es darum geht, ihre Ausdrucksformen zu erweitern. Der eigentliche Mehrwert, das Herzstück eines jeden Werks, besteht darin, wie sehr der Betrachter davon berührt wird und was er aus dem Gesehenen/Erlebten mitnimmt. Letztendlich hängt dies von der Erzählung, der Idee, der Vorstellung des Künstlers ab und davon, inwieweit diese umgesetzt werden kann, um den Betrachter zu berühren. Der Künstler darf also die Daten nicht als zufällige Masse wiedergeben, sondern muss die Erzählung hinter den Zahlen erkennen und offenlegen. Keine KI kann ihm dabei helfen.
Wie beim Bauen mit Legosteinen kann man die Daten auf jede beliebige Weise formen.
Ein relativ neuer Trend sind Text-zu-Bild-KI-Generatoren wie Dall-E 2 von OpenAI oder Google's Imagen. Wie bewerten Sie deren Auswirkungen?
Meiner Meinung nach dienen diese Text-Bild-Generatoren in erster Linie dem Zweck, KI-basierte Kunst einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Durch ihre einfache Handhabung wird auch eine Emanzipation erreicht, da nun jeder zum "KI-Künstler" werden kann.
Welche Qualität die Ergebnisse erreichen, bleibt fraglich. Interessant ist jedoch die Frage, was dieser Prozess mit dem Menschen macht, der ihn ausführt. Wir haben es mit künstlichen neuronalen Netzen zu tun, die auf der Grundlage der Eingabe eines so genannten "Prompts" und anderer Parameter Hinweise liefern und diese zu einem Bild werden lassen. Diese Ergebnisse sehen zwar aus, als wären sie mit einem Malwerkzeug erstellt worden, sind aber reine Simulationen. Es gibt keinen prozesshaften Weg von der Skizze über die Grundierung bis hin zum Setzen der Lichter. Das bedeutet auch, dass der "Künstler" mit einer Blackbox arbeiten muss. Er beginnt mit einer Grunddefinition und verfeinert und konkretisiert diese dann mit den verfügbaren "U"- und "V"-Tasten. Anstatt sich also auf ein endgültiges Kunstwerk zuzubewegen, das zuvor durch eine Skizze festgelegt wurde, ist der Weg das Ziel und die KI gibt uns die Ergebnisse vor.
Es ist ein Dialog, der sich hier abspielt. Der "Absender" hackt Begriffe und Anweisungen in sein Discord-Fenster und erhält vom "Empfänger" ein "Kunstwerk". Dieser Teil ist in meinen Augen der wichtigste: die Erfahrung, dass der Mensch mit der Maschine spricht. Ersterer muss die Sprache des Letzteren lernen und erhält als Antwort ein mehr oder weniger verstörendes Bild.
Wenn diese Werkzeuge in einem professionellen künstlerischen Kontext wie bei Mario Klingemann oder Matt DesLauriers eingesetzt werden und dabei alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, erhalten wir bereits einen Vorgeschmack auf das, was wir in (naher) Zukunft von dieser Visualisierungsmethode erwarten können.
Kunst wird nie ohne das Genie eines menschlichen Künstlers funktionieren, egal ob es sich um KI-Kunst, Teppichkunst oder Freskenkunst handelt.
Was wird Ihrer Meinung nach in Zukunft nur noch von Computern erledigt werden – und wofür werden kreative Köpfe noch gebraucht?
Es gibt eine einfache Antwort auf diese Frage: Kunst wird nie ohne das Genie eines menschlichen Künstlers funktionieren, sei es KI-Kunst, Teppichkunst oder Freskenkunst. Der Computer als solcher wird immer ein Werkzeug bleiben, ein Mittel zur Ausführung. Er kann keinen kreativen Prozess durchführen, weil ihm spontane Geistesblitze, Phantasie und Emotionen fehlen.
Was bedeutet generative KI für Ihre Szene?
Meiner Meinung nach ist die generative KI im Allgemeinen derzeit nicht mehr als ein weiteres Werkzeug, das noch nicht vollständig entwickelt ist. Es dauert immer noch zu lange, eine KI zu trainieren, um vorzeigbare Ergebnisse zu erzielen, geschweige denn herausragende Ergebnisse. Das Thema "Deep Fakes" sorgt jedoch schon jetzt für Aufregung, da alle Nachrichtenagenturen auf den Zug aufgesprungen sind, um vor Betrug im Zusammenhang mit KI zu warnen.
Die Manipulation von Audio- und Videodateien mit Hilfe von KI wird zu einem späteren Zeitpunkt sicherlich ein weiteres interessantes Werkzeug sein, das Künstlern die Arbeit erleichtert und ihnen zu neuen Quantensprüngen verhilft.
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Welche anderen Trends und technologischen Entwicklungen in Ihrem Bereich verfolgen Sie derzeit?
Worauf ich mich derzeit konzentriere, ist zum einen der Bereich der NFTs mit ihrer weiteren Aktivierung im Kontext des Metaversums. Andererseits alles, was mit Daten und Unterhaltung zu tun hat. Zum Beispiel audio-reaktive Visuals wie die der unglaublichen Joëlle oder des avantgardistischen Techno-Labels DetroitUnderground™.
Joelle – Lost Horizon Festival 2020 – ANNA.
Oder die Visionen von David Sheldon Hicks, CEO von Territory Studio, der als SFX-Wizard die Weiterentwicklung von Daten, deren Visualisierung und Auswirkung auf unseren Alltag in unzähligen Sci-Fi-Blockbustern und anderen Kinofilmen vorantreibt.
Menschen wie Sheldon-Hicks unterstützen die Erzählung von Filmen, indem sie sie visuell weiterentwickeln, um das Publikum für zukünftige Schnittstellen zu sensibilisieren. Sie transportieren das Bild aus den Köpfen der Designer in die Köpfe der Zuschauer und achten gleichzeitig auf die Handlungsästhetik des Films. Es ist eine Gratwanderung, der Magie der Effekte nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als nötig, um sie nahtlos in die Handlung einzuflechten. Man könnte sagen, es gibt hier eine parallele Realität in Form von glaubwürdig animierten Schnittstellen denkbarer technologischer Ideen, die nach einer Weile zunehmend in die lineare Realität übergehen und sich dort manifestieren und weiterentwickeln.
Exclusive image for “The Age of Data” by Territory Studio.
Wenn ich diese beiden Beispiele betrachte, interessiert mich der Einsatz von datenbasiertem Design im so genannten Postdigitalen: Nach all der Zeit, in der sich der Mensch an der Maschine orientiert und verbogen hat, stehen wir nun an der Schwelle zur nächsten Phase. Der Mensch steht im Mittelpunkt und das Digitale umgibt ihn unmerklich in seinem Alltag, bei der Arbeit, in der Unterhaltung.
Wir stehen nun an der Schwelle zur nächsten Phase: Der Mensch steht im Mittelpunkt und das Digitale umgibt ihn unmerklich in seinem Alltag, bei der Arbeit, in der Unterhaltung.
Der Einsatz von Algorithmen und KI bedeutet aber nicht, dass solche Kreationen auf den digitalen Raum beschränkt sind, richtig? Können Sie ein paar Beispiele für datengesteuerte Kunst nennen, die in oder mit analogen Umgebungen funktionieren?
Als Beispiel will ich hier eine Arbeit der postdigitalen Kunstgruppe "Random International", gegründet von Hannes Koch und Florian Ortkrass, hervorheben: "Rain Room" (2012) nutzt digitale Sensortechnik, um eine Erfahrung zu schaffen, die sich mit der Frage der menschlichen Existenz auseinandersetzt und den Betrachter/Nutzer in den Mittelpunkt stellt. Beim Betreten der Installation, einem Raum, in dem es regnet, wird der Besucher in eine Art schützende Blase gepackt, in der er nicht nass werden kann, da der Regen immer an der Position der Bewegung aufhört. So entsteht eine fast symbiotische Beziehung in einer künstlich verstärkten Natur, die den Wanderer auf seinem Weg durch diesen Raum vor dem Wetter schützt. Dieser scheinbar intuitive Bezug ist der Kern der Mensch-Maschine-Kommunikation/Beziehung dieses Kunstwerks.
Random International – Rainroom – image by Random International.
Ein weiteres beeindruckendes Beispiel sind die Arbeiten von Davide Quayola. In "Sculpture Factory" erforscht er das Konzept der Zeit im digitalen Prozess. Der Laokoön, eine klassische Statue, die 1506 in Rom ausgegraben wurde, wird aus den Erdschichten herausgelöst, die sich im Laufe der Zeit abgelagert haben. Das Unvollendete, das Fragmentarische ist das Thema. Quayola analysiert die Dreiergruppe und erstellt ein 3D-Modell, das ebenfalls fragmentarisch ist und von einem Roboter aus verschiedenen Blöcken geschnitzt wird. Es findet eine zeitliche Verdichtung statt, indem der Besucher Zeuge des Prozesses der Formgebung, des Schaffens wird, der während der Installation live gezeigt wird.
Quayola – Sculpture Factory – image by Quayola.
Sie haben "The Age of Data" veröffentlicht, eine Enzyklopädie des datenbasierten Designs, in der Sie 40 der wichtigsten zeitgenössischen Protagonisten in diesem Bereich vorstellen – können Sie einige der spannendsten Projekte nennen, die Sie in Ihrem Buch vorstellen?
Im Mittelpunkt dieses Bandes stehen die Ästhetik und Kreativität einer neuen Generation von Designern, die algorithmengestützte Werkzeuge einsetzen – vom Grafikdesign über 3D-Animation, kinetische Objekte und Echtzeit-Visualisierungen bis hin zu Robotik und Rauminstallationen sowie hybriden Ansätzen zwischen digital und analog.
The Age of Data – Christoph Grünberger – Niggli (2022).
So unterschiedlich wie die Künstler sind, so vielfältig ist auch ihre Präsentation. In einem ausführlichen Interview spreche ich mit Zachary Lieberman über das Thema "Kunst ist Wissenschaft". Wir sprechen über die Metapher der "Code Poetics", da sie impliziert, dass eine Idee sowohl in Poesie als auch in Codierung beschrieben wird. Das eine wird von Menschen gelesen – und interpretiert –, das andere von Maschinen. Da Liebermann Lehrer am MIT ist, gehen wir auch auf seine Bildungskonzepte ein, von denen eines den Namen "Recreating the Past" trägt. Es ist wichtig, dass die Studenten die Ästhetik und den Ansatz der OGs (d.h. "Original Gangsters", z.B. Vera Molnar, Muriel Cooper u.a.) verstehen. Nach der Analyse ihrer Kunstwerke versuchen die Studenten in der Regel, sie mit modernen Mitteln nachzubauen. Dies führt uns zu der Frage, welche Unterstützung und Ermutigung den Studenten bei der Schaffung dieser Werke geboten wird. Lieberman ist auch einer der Entwickler von openFrameworks, das im Jahr 2005 veröffentlicht wurde. In diesem Zusammenhang sprechen wir auch über seine Zukunftsvision für den Computer als Kreativitätswerkzeug in der demokratisierten Kunst.
Zach Lieberman – Shape Study.
Ein weiterer Künstler, den ich in mein Buch aufgenommen habe, ist der Kanadier Adam Basanta. In seiner Installation "All we´d need is one another (trio)" sehen wir ein unabhängiges Ökosystem, einen Golem, bestehend aus zwei auf der Seite liegenden Flachbettscannern, die gedankenlos Kunstwerke produzieren, indem sie sich gegenseitig scannen. Zufallsgesteuerte Einstellungen der Scan-Software starten automatische Scan-Prozesse. Die Ergebnisse werden von Deep-Learning-Algorithmen analysiert, die auf einer Datenbank mit Millionen von zeitgenössischen Kunstwerken trainiert wurden. Wenn ein Bild zu mehr als 80 % mit einem bestehenden Kunstwerk übereinstimmt, wird es als "Kunst" validiert. Basanta fragt: "Verschiebt sich die Wahrnehmung von Kreativität in das Auge des Betrachters, wenn der Prozess der Kunstherstellung mechanisch automatisiert wird?"
Adam Basanta – All we´d ever need is one another (trio), image by Laura Findlay.
Ein weiteres Beispiel im Buch ist der aktuellen Popkultur entnommen: ein Musikvideo für "Yello" des Schweizer Videokünstlers Dirk Koy. Basierend auf seiner fortlaufenden Serie "Shape Studies", ist "Out of Sight" eine Untersuchung der Schnittstelle zwischen dem Realen und dem Digitalen. Ähnlich wie Yello (Dieter Meier und Boris Blank), die oft digitale Veränderungen an authentischen Tonaufnahmen vornehmen, greift Koy diese Idee auf der visuellen Ebene auf, indem er natürliche und digitale Elemente miteinander verwebt. Das Ergebnis hat einen dadaistischen Touch: Gemüse und Früchte tanzen zur Musik. Die schnellen Formwechsel sind eine Anspielung auf die Flüchtigkeit der im Liedtext beschriebenen Begegnung.
Yello – Out of Sight – Dirk Koy – Universal Music GmbH.
Zufallsgesteuerte Einstellungen der Scan-Software starten automatische Scan-Prozesse. Die Ergebnisse werden von Deep-Learning-Algorithmen analysiert, die auf einer Datenbank mit Millionen von zeitgenössischen Kunstwerken trainiert wurden.
Gibt es auch Menschen, die gegen den Einsatz solcher Technologien in der Welt der Kunst und des Designs sind? Was entgegnen Sie ihnen?
Es wird immer Menschen geben, die eine gewisse ablehnende Haltung einnehmen. Und selbst in meiner Bubble kann ich erkennen, dass Daten und KI nicht die alleinige Wahrheit darstellen. Sie sind eine Ausdrucksform, aber es gibt noch zig andere.
Generell hat man aber den Eindruck, dass sich Künstler eher mit übergreifenden oder gesellschaftlich zusammenhängenden Themen beschäftigen und alles, was passt, als Ausdrucksform nutzen. In ihrem Denken gibt es kein Schwarz und Weiss. Weder KI-Dominanz noch technische Resilienz.
Es ist ein fröhlicher, positiver Eklektizismus der Moderne nach zwei Jahren der Distanzierung.
Ihr Fazit: Was sind die Chancen und Gefahren des Einsatzes von KI & Co. in der Welt der Kreativen?
Objektiv gesehen gibt es wenig Gefahren und umso mehr Möglichkeiten. Der Computer ist nichts, wovor man sich fürchten müsste, denn er wird immer ein Begleiter des Künstlers bleiben. Es ist nicht davon auszugehen, dass er jemals selbst etwas schaffen wird. Er soll das Vorstellungsvermögen des menschlichen Künstlers widerspiegeln und die künstlerische Arbeit auf immer neue Weise verwirklichen. Und schliesslich wird er ein allgemeines technologisches Hilfsmittel und Instrument sein.
In diesem Sinne möchte ich mit einem Zitat aus dem Vorwort zu "The Age of Data" von Ian Anderson (The Designers Republic™) schliessen: "Technologie ist nicht viel ohne die Ideen und Träume, die sie antreibt."
Zur Person
Christoph Grünberger (*1975) ist Illustrator, Designer und Autor. Er setzt sich intensiv mit dem Thema "Digital Art" auseinander. In seinem aktuellsten Buch “The Age of Data” stellt er die neusten Kunst- und Designtrends vor, die sich um datenbasierte Gestaltung und Künstliche Intelligenz (KI) drehen. Für seine Arbeiten wurde der Deutsche schon mehrfach national und international ausgezeichnet – unter anderem am Japan Media Arts Festival für die Videoinstallation «Wutbürger».
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