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Mehr Diversität: Wie Frauen und Gen Z die Tech-Welt verändern

Männerdominiert, verstaubt und unattraktiv – genau diesem Bild der IT-Branche bietet Microsoft-Leaderin Annahita Esmailzadeh Kontra. Auf LinkedIn wollen über 89'000 Follower*innen ihre Meinung zu Themen wie Diversität und Leadership wissen. Uns verrät sie, was die Tech-Welt für Frauen attraktiver macht und wie Gen Z die Arbeitswelt von morgen prägen wird.

 

MIT ANNAHITA ESMAILZADEH SPRACH OLIVER BOSSE

Die IT-Branche kämpft derzeit mit einem Fachkräftemangel. Insbesondere Frauen entscheiden sich oft gar nicht erst für eine entsprechende Ausbildung. Woran liegt das?
Ich denke, dass der Frauenmangel in der IT auf eine Vielzahl verschiedener Ursachen zurückzuführen ist und viele Dimensionen hat. Angefangen bei veralteten Rollenbildern und entsprechender Prägung im Elternhaus und in der Schulzeit bis hin zu gesellschaftlich leider immer noch vorherrschenden Rollen- und Berufsklischees und dem damit zusammenhängenden Fehlen weiblicher Vorbilder im Tech-Bereich.

Sollten sich
Frauen vermehrt in der IT-Branche sichtbar machen und aktiv eine Vorbildrolle einnehmen, wie Sie das tun?
Die heutige öffentliche Wahrnehmung der IT- oder Tech-Welt ist ganz klar männerdominiert: Denkt man an diese Branche, kommen einem Namen wie Mark Zuckerberg, Bill Gates oder Elon Musk in den Sinn. Weibliche Vorbilder wie beispielsweise Sheryl Sandberg, mit denen sich Mädchen und junge Frauen identifizieren könnten, sind eine absolute Ausnahmeerscheinung. Und genau da liegt die Herausforderung: Wir brauchen definitiv mehr sichtbare Frauen im Tech-Bereich, um Mädchen und jungen Frauen Mut zu machen, dass auch sie in dieser Branche erfolgreich sein können.

Es gibt bereits verschiedene Initiativen, die Mädchen und junge Frauen für die Informatik begeistern möchten. Reicht das, oder müsste man auch noch an anderen Stellen ansetzen?
Diese Initiativen und Förderprogramme, um junge Mädchen frühzeitig für Tech zu begeistern, sind wahnsinnig wichtig. Besonders klasse finde ich zum Beispiel die Girls Hacker School von Julia Freudenberg, die sich gezielt an Mädchen und Frauen richtet und diese fürs Programmieren begeistern möchte. Oder auch Initiativen wie den Girls Day bei meinem Arbeitgeber Microsoft, bei dem bundesweit Mädchen ab zwölf Jahren teilnehmen können. Ein weiteres Beispiel ist SkillHer, eine Weiterbildungs-Initiative von Microsoft, die Frauen dabei unterstützt, digitale und technische Kompetenzen aufzubauen und zugleich ihr Netzwerk in der Branche zu erweitern.

Darüber hinaus müsste man die Branche von ihrem eingestaubten Image befreien – von dem im Keller sitzenden Entwickler, der das Tageslicht und jegliche zwischenmenschliche Kontakte scheut. Dieses Bild entspricht schon lange nicht mehr der Realität. Mal davon abgesehen, dass Softwareentwicklung ein sehr spannendes Feld ist, das viel Kreativität, Empathie und Teamarbeit erfordert, gibt es in der IT auch mannigfaltige andere Tätigkeitsfelder, die sich nicht nur aufs klassische Programmieren beschränken.

Wir müssen zudem dafür sorgen, dass Mädchen und junge Frauen schon in der Schulzeit stärker an den MINT-Bereich herangeführt und entsprechend gefördert werden. Viele Gender-Stereotypen werden nämlich schon im Grundschulalter erworben.

Die Branche leidet noch unter ihrem eingestaubten Image von dem im Keller sitzenden Entwickler, der das Tageslicht und jegliche zwischenmenschliche Kontakte scheut. Dieses Bild entspricht schon lange nicht mehr der Realität.

Wie können Unternehmen dazu beitragen, mehr Frauen für Jobs im IT-Bereich zu begeistern?
Aus meiner Sicht sind unter anderem spezielle Mentoring-Programme, in denen Frauen andere Frauen auf ihrem Weg unterstützen, sowie Diversity-Trainings und Anti-Bias-Trainings für Führungskräfte und Recruiter*innen hilfreich, um zukünftig mehr Frauen für die Branche zu gewinnen und zu halten. Unternehmen sollten zudem ihren weiblichen Rolemodels in der Aussendarstellung, wie etwa auf Messen, Social Media oder Events, eine Bühne bieten, um Berührungsängste abzubauen. Ein gutes Beispiel dafür war für mich der Karrierekongress WomenPower auf der diesjährigen Hannover Messe. Hier wurden etwa Vorreiterinnen im MINT-Bereich geehrt, Erfolgsgeschichten geteilt und neue Kontakte geknüpft. Ferner sollten Unternehmen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit spezifischen Angeboten unterstützen.

Ist auch mangelnde Gleichberechtigung nach wie vor ein Thema?
Leider ja. Zwar sind in Deutschland Männer und Frauen rechtlich gleichgestellt, doch bei der tatsächlichen alltäglichen Gleichberechtigung haben wir – trotz vieler Fortschritte in den letzten Jahren und Jahrzehnten – noch einen weiten Weg vor uns. Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen liegt hierzulande bei 18 Prozent. Selbst bei gleicher formaler Qualifikation und ansonsten gleichen Merkmalen beträgt sie immer noch sechs Prozent. Ein Beispiel hierzu, damit man sich vorstellen kann, was das konkret bedeutet: Dieses Jahr fand der Equal Pay Day, der symbolisch den Tag im Jahr markiert, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, am 7.3.2022 statt. Frauen arbeiteten dieses Jahr also statistisch mehr als zwei Monate kostenlos – das ist aus meiner Sicht nicht länger tragbar. Auch in den Führungsetagen und in Aufsichtsräten sind Frauen noch immer stark unterrepräsentiert. Bis heute tragen Frauen zudem den Grossteil der „Care-Arbeit“, arbeiten öfter in Teilzeit und sind von Altersarmut und finanzieller Abhängigkeit betroffen.

Die Tech-Welt braucht Frauen! Aber wie fördert man sie?

Frauen sind in der Tech-Welt nach wie vor unterrepräsentiert. Dabei hätte die Branche einiges zu bieten  – auch und gerade für Frauen!

Spannende Fakten und Gründe für diese Situation sowie Strategien zur Förderung von Frauen in der IT-Branche findest du hier!

Nun geht es ja beim Thema Diversität bei Weitem nicht nur um die Dimension «Geschlecht». Es geht auch um körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion, Weltanschauung, sexuelle Orientierung, soziale und ethnische Herkunft, Nationalität und das Alter. Wie beurteilen Sie in diesen Bereichen die aktuelle Situation in der Tech-Welt?
In der Tat ist es entscheidend, dass wir uns bei der Diversitätsdiskussion nicht auf einzelne Dimensionen reduzieren, sondern intersektional denken. Um das kreative Potenzial unserer Gesellschaft voll ausschöpfen zu können, müssen wir alle Menschen mit ihren individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten, Stärken und Schwächen einbeziehen. Auch wenn es noch ein weiter Weg ist, bin ich davon überzeugt, dass Inklusion und Diversität nicht aus der Umsetzung von Vorschriften leben – sondern aus Überzeugung. Nur so können diese Bereiche über die Erfüllung von Standards hinauswachsen.

Was muss sich denn konkret verändern und wo?
Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, mehr Menschen mit individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten in höher qualifizierte Berufe zu bringen, einschliesslich in technische Rollen. Es sollte unser Ziel sein, mehr Menschen den Zugang zu Technologien zu erleichtern. Ein schönes Beispiel, wie das funktionieren kann, sind Qualifizierungsprogramme wie SkillAll, die Menschen mit Behinderungen auf ihrem Weg in die Tech-Industrie unterstützen.

Welche Massnahmen sind aus Ihrer Sicht essenziell, damit Diversität ganzheitlich und nachhaltig in einem Unternehmen gelebt werden kann?
Es genügt nicht, Teams lediglich divers zu besetzen. Andere Denk-, Sicht- und Vorgehensweisen, unterschiedliche Meinungen sowie eine Vielfalt an Perspektiven und Problemlösungsstilen sollten auch zugelassen werden. Um wirklich etwas zu erreichen, müssen wir zudem mit vereinten Kräften vorangehen. Diversität ist ein emotionales Thema und polarisiert häufig. Fakt ist jedoch: Wir brauchen ein Miteinander und kein Gegeneinander in der öffentlichen Diskussion. Denn nur gemeinsam gelingt der Wandel und die notwendige Inklusion.

Wie sieht ein Unternehmen aus, bei dem Diversität gelebte Realität und kein blosses Lippenbekenntnis mehr ist?
Bei Microsoft sind Diversität und Inklusion schon lange fest in unsere Unternehmenskultur verankert und werden jeden Tag gelebt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Unser Mitarbeitenden-Netzwerk „Women at Microsoft“ unterstützt Menschen, die sich als Frau identifizieren und für eine Karriere in der IT-Branche begeistern. Unsere „Disability“-Mitarbeitendengruppe engagiert sich für
die aktive Inklusion von Menschen mit Behinderung. In der Community sind alle Kolleg*innen willkommen – egal, ob sie selbst mit einer Behinderung leben oder nicht.

Es genügt nicht, Teams lediglich divers zu besetzen. Andere Denk-, Sicht- und Vorgehensweisen, unterschiedliche Meinungen sowie eine Vielfalt an Perspektiven und Problemlösungsstilen sollten auch zugelassen werden.

Sie beschäftigen sich auch intensiv mit dem Thema Leadership, sind selbst Führungsperson. Welche Fähigkeiten braucht eine Führungskraft in der heutigen IT-Branche?
Aus meiner Sicht sollten moderne Führungskräfte Visionär*innen und keine Kontrolleur*innen sein. Mitarbeitende suchen keine Aufpasser*innen und Mikromanager*innen. Sie brauchen vielmehr empathische Befähiger*innen, die in der Lage sind, ihnen ihren individuellen Beitrag für die Unternehmensvision klarzumachen und sie auf dem Weg dahin zu unterstützen. Führungskräften kommt gerade jetzt, in Zeiten in denen Menschen oftmals in hybriden und virtuellen Modellen arbeiten, eine Schlüsselrolle zu. Sie müssen die neuen Erwartungen verstehen und ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, ihren Platz in dieser hybriden Arbeitswelt zu finden und sich auch zwischen Büro und Homeoffice verbunden zu fühlen.

Wie kann man als Führungsperson ganz konkret zu einem attraktiven und diversen Arbeitsumfeld beitragen?
Indem man Vertrauen, Transparenz sowie eine gesunde Fehler- und Feedbackkultur selbst vorlebt und auf diese Weise etabliert. Denn nur wenn eine gute Fehlerkultur gegeben ist, kann Diversität gedeihen und Innovation entstehen.

Sie haben zusammen mit Yaël Meier ein Buch über die Generation Z geschrieben und beantworten darin unter anderem die Fragen, wie diese Generation tickt und wie man am besten mir ihr zusammenarbeitet. Verraten Sie uns ein paar Kernerkenntnisse daraus?
Fast ein Drittel aller Menschen weltweit gehört der Generation Z an. Die heute 12- bis 25-Jährigen werden geprägt von Sorgen um ihre Umwelt und der bislang höchsten Rate mentaler Erkrankungen. Zugleich sind sie vernetzter und technologisch fitter als jede Generation vor ihnen – sie sind die ersten "echten” Digital Natives.

Was die Gen Z am meisten von ihren Vorgängerinnen unterscheidet, ist ihre intuitive Vertrautheit mit dem Internet und sozialen Netzwerken. Sie fühlen sich dort ebenso zuhause wie in der analogen Welt. Die Gen Z “geht” nicht online. Sie lebt online. Sie vergleicht sich von klein auf nicht nur mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft, sondern über die grenzenlosen sozialen Medien mit Gleichaltrigen auf der ganzen Welt. Das macht sie jenseits ihres Passes zur wahrhaften Global Generation.

Bis zum Ende dieser Dekade wird die Gen Z gemeinsam mit den Millennials die Mehrheit am Arbeitsmarkt ausmachen, denn die Baby-Boomer-Generation geht in Rente. Das bedeutet: Die junge Generation kennt ihren Wert und fordert dafür ihren Preis. Ihre Wertvorstellungen werden die Arbeitswelt immer stärker prägen. Daher sind Unternehmen gut beraten, sich zu fragen, was diese Generation vom Berufsleben und ihrem Platz darin erwartet. Und Antworten darauf liefern wir in unserem Buch, das die Perspektiven verschiedener Autor*innen zusammenbringt und die junge Generation aus verschiedenen Dimensionen beleuchtet.

Kennst du diese weiblichen IT-Vorbilder schon?

Katia Murmann, Mitgründerin der Initiative EqualVoice: Hat einen Algorithmus entwickelt, der die Präsenz von Frauen in Texten und Bildern von News-Medien misst. Erfahre hier mehr darüber!

Elodie Floriane Mandel-Briefer von der Universität Kopenhagen: Hat an einem Algorithmus mitgewirkt, der den emotionalen Zustand von Schweinen anhand ihrer Laute erkennt. Lies das Interview mit ihr!

Viktoria Prantauer, Co-Founderin der Hippo AI Foundation: Setzt sich als Brustkrebs-Überlebende dafür ein, dass alle Menschen von medizinischen Daten profitieren können. Hier geht's zur Story!

 

Ein weiteres Thema, mit dem Sie sich befassen, ist «New Work». Welche Trends machen sie diesbezüglich aktuell aus, und welche davon werden in Zukunft von besonderer Relevanz sein?
Definitiv Work-Life-Blending in der neuen hybriden Arbeitswelt, moderne Führung sowie gelebte Diversität und Inklusion. Wir befinden uns gerade mitten in einem Realexperiment. Der Übergang zu einer hybriden Arbeitswelt muss aus meiner Sicht bewusst gestaltet werden. Damit einher gehen zahlreiche Diskussionen rund um unsere Arbeitsweise und das Neudenken von lang bewährten Konzepten.

Eines ist dabei klar: Die Bedürfnisse und Anforderungen der Beschäftigten an die Arbeitswelt haben sich verändert. Bei beruflichen Veränderungen spielen persönliche Ziele und das eigene Wohlbefinden eine grössere Rolle. Mitarbeitende wünschen sich mehr Flexibilität und Zeit für persönliche Gespräche.

Über 89'000 Menschen folgen Ihnen auf LinkedIn und wollen Ihre Meinung zu Themen wie New Work, Diversität oder Leadership wissen. Wie haben Sie das geschafft? Was macht Ihre Beliebtheit aus?
Hätte man mir noch vor wenigen Jahren gesagt, dass mir irgendwann mal so viele Menschen auf LinkedIn folgen werden, hätte ich nur ungläubig gelacht. Nie hätte ich damals gedacht, dass meine Inhalte auf so einen wunden Nerv treffen und eine derartige Resonanz erzeugen werden. Ich kann nur Vermutungen anstellen, aber ein Grund mag sein, dass ich mich nicht verstelle und authentisch bin und auch unbequeme Dinge anspreche, die sich die meisten Menschen nur bei sich denken.

Mit welchen Kernbotschaften möchten Sie als Influencerin durchdringen?
Ich bin sehr dankbar dafür, meine Reichweite für meine Herzensthemen, wie die Relevanz von Diversität in der Wirtschaft oder auch meine Vorstellungen von moderner Führungs- und Unternehmenskultur, einsetzen zu können und möchte, dass diesen Themen zukünftig nicht nur noch mehr Beachtung geschenkt wird, sondern sie eine konkrete Umsetzung in der Praxis finden.

Zur Person

Annahita Esmailzadeh leitet seit 2021 den Bereich Customer Success Account Management für die Reise- und Transportindustrie sowie für den Energie- und Versorgungssektor bei Microsoft. Vor ihrer aktuellen Funktion verantwortete die studierte Wirtschaftsinformatikerin als Head of Innovation den Innovationsbereich für das SAP Labs in München. Als eine der reichweitenstärksten Business-Influencerinnen im DACH-Raum setzt sie ihre Stimme auf sozialen Netzwerken und in den Medien für mehr Diversität in der Wirtschaft sowie moderne Kultur- und Führungsansätze in der Arbeitswelt ein. Sie ist Mitherausgeberin und Autorin des Buches „Gen Z für Entscheider*innen“ und Diversity Kolumnistin für das STRIVE Magazin. Annahita Esmailzadeh engagiert sich ausserdem als Mentorin für zahlreiche Initiativen wie beispielsweise Startup Teens, eine Non-Profit-Organisation, die Schülerinnen und Schülern unabhängig von Herkunft und Schulform den Zugang zu Entrepreneurship und Innovationsthemen ermöglicht.

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